"Den Hartz-Reformen fehlt das Herzstück"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Westdeutsche Zeitung, 17.03.2005, S. 5

Der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, nimmt den VW-Personalvorstand in Schutz

Frage: Herr Professor Sinn, vor zweieinhalb Jahren hat Peter Hartz verkündet, die Zahl der Arbeitslosen lasse sich in drei Jahren um zwei Millionen reduzieren. Steht er -wenn wir heute Bilanz ziehen- nicht auch persönlich vor einem Scherbenhaufen?

Sinn: Wenn das gemacht worden wäre, was Hartz wollte, dann hätte es einen deutlichen Beschäftigungseffekt gegeben. Herzstück der ursprünglichen Hartz-Reformen war es, alle Arbeitslosen billig an die Privatwirtschaft zu verleihen. Die Leiharbeiter sollten Bruttolöhne bekommen, die um 30 Prozent unter dem Tarif liegen, und außerdem sollten die Lohnkosten der Leiharbeiter für die Unternehmen noch bis zu 50 Prozent heruntersubventioniert werden. Letzteres aber wäre unbezahlbar gewesen. Die Politik hat diesen Vorschlag wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, und zwar völlig zurecht

Ist es nicht grundsätzlich besser, Arbeit zu finanzieren statt Arbeitslosigkeit?

Grundsätzlich ja. Hartz hatte das für Geringfinanzierer konzipierte ifo-Modell der "aktivierenden Sozialhilfe" aufgenommen und auf alle Arbeitnehmer erweitert. Das hätte zwar gewirkt; der Vorschlag war aber mit Blick auf die Kosten nicht ausgegoren.

Aktivierende Sozialhilfe?

Der Bundespräsident hat die Regierung in seiner Rede am Dienstag ermuntert, dieses Modell zu realisieren. Das Arbeitslosengeld II sollte vom Lohnersatz zum Lohnzuschuss umgebaut werden. Heute erhält man das Arbeitslosengeld II, wenn man nicht arbeitet, und wenn man arbeitet, verliert man es. Das ist der falsche Ansatz. Es muß mehr Geld für das Arbeiten und weniger für das Nichtarbeiten gezahlt werden.

Dann müßten sie die Ein-Euro-Jobs -die auch zu Hartz IV gehören- ganz gut finden, oder?

Ja. Die Ein-Euro-Jobs entsprechen unserem Modell, weil wir vorgesehen hatten, dass jene, die keine privaten Jobs finden, beim Staat zu einem Lohn in Höhe der Sozialhilfe beschäftigt werden können.

Ist es nicht so, dass die Ein-Euro-Jobs dem Handwerk die Aufträge wegnehmen?

Die Befürchtung ist berechtigt. Deshalb sind wir der Meinung, dass der Staat die Ein-Euro-Jobber über Leiharbeits-Firmen an die private Wirtschaft weitervermitteln sollte.

Sie geben der Leiharbeit noch eine Chance?

Die Chance gibt es. Wir brauchen die Leiharbeit, aber begrenzt auf die Ein-Euro-Jobs. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass der Staat die Leute bei sich zum Parkfegen beschäftigt.

Aber gibt es dann nicht einen Druck auf die Löhne der bereits Beschäftigten?

Natürlich. Mann sollte endlich akzeptieren, das wir eine stärkere Lohn-Spreizung nach unten hin brauchen, damit Jobs für gering Qualifizierte entstehen.

Kann man durch bessere Vermittlung etwas erreichen?

Die Verbesserung der Vermittlung kann es nicht bringen. Wir haben kein Vermittlungsproblem, sondern es fehlt an Jobs.

Das Interview führte Alexander Marinos