ifo-Chef Sinn: Man muss das Kapital hätscheln

Interview mit Hans-Werner Sinn, Neue Osnabrücker Zeitung, 19.04.2005

Von Uwe Westdörp, Osnabrück (Eigenbericht)

Herr Professor Sinn, wie schädlich ist die von Franz Müntefering angestoßene Debatte über die Macht des Kapitals für das Investitionsklima in Deutschland?
Sinn: Die Debatte ist außerordentlich gefährlich, weil sie den Investoren zeigt, dass sie damit rechnen müssen, dass ihr Kapital eines Tages in Deutschland in Geiselhaft für die Finanzierung eines überbordenden Sozialstaates genommen wird. Kein Investor wird gegen Herrn Müntefering protestieren. Vielmehr werden die strategischen Entscheidungen umso eher gegen Deutschland getroffen.

Was ist stattdessen zu tun?
Sinn: Man muss das international mobile Kapital hätscheln, wenn man Arbeitsplätze schaffen will. Man muss sich als attraktiver Investitionsstandort präsentieren und seine Stärken herausstellen. Den ohnehin übermäßig stark ausgeprägten deutschen Sozialneid zu schüren heißt, einer Politik der Gleichheit in Armut das Wort zu reden.

Brauchen wir eine neue Ethik in der Wirtschaft?
Sinn: Die Wirtschaft ist keine ethische Veranstaltung. Wer sich ihr mit moralischen Ansprüchen nähert, hat die Funktionsweise der Marktwirtschaft nicht verstanden. Ich selbst habe nie die Illusion gehabt, dass die Marktwirtschaft eine gerechte Wirtschaftsform ist. Sie schafft enorme Ungleichheit, viel mehr, als gut ist. Sie entlohnt nach Knappheit, und das hat mit Gerechtigkeit nicht die Bohne zu tun. Aber die Marktwirtschaft ist effizient. Wenn man die Ungleichheit akzeptiert, erzeugt sie hohe Einkommen. Ja gerade auch für die Arbeiter erzeugt sie ein höheres Einkommen als der Sozialismus.

Es gibt also keinerlei Korrekturbedarf?
Sinn: Das heißt nicht, dass der Staat die Einkommensverteilung nicht ein wenig korrigieren sollte. Nur muss man wissen, dass man für die Gerechtigkeit einen hohen Preis zahlt, weil die Leistungsanreize erlahmen.

Wie meinen Sie das?
Sinn: Alles muss in Maßen geschehen. Deutschland hat das sinnvolle Maß seit langem überschritten. 41 Prozent der erwachsenen Deutschen leben von staatlichen Sozialtransfers und Renten. Im Osten sind es gar 47 Prozent. Und der Staat absorbiert vom Nettosozialprodukt oder Volkseinkommen für seine Zwecke bereits etwa 57 Prozent, deutlich mehr als die Hälfte. Das ist das Problem.

Welche vermeintlichen oder tatsächlichen "Exzesse" fallen Ihnen spontan ein? Gehört das Verhalten der Deutschen Bank dazu?
Sinn: Wenn Manager sich als Eigentümer ihrer Firmen aufführen und sich über hohe Abfindungen zum Verkauf ihrer Unternehmen bewegen lassen, dann ist meine innere Toleranzgrenze überschritten. Vermutlich ist sogar die Grenze überschritten, die das Gesetz zieht.