Konjunkturprogramm: Ja oder Nein?

Interview mit Peter Bofinger und Hans-Werner Sinn, Abendzeitung, 04.03.2005, S. 4

Rufe werden lauter. Regierung lehnt ab

BERLIN Was tun gegen die Rekord-Arbeitslosigkeit? Die Rufe nach einem staatlichen Konjunkturprogramm werden immer lauter. "Rot-Grün sollte ein 20-Milliarden-Paket für die Kommunen schnüren, damit vor Ort Schulen, Kindergärten und Jugendzentren optimal hergerichtet werden können", fordert Margret Mönig-Raane, Vize der Gewerkschaft Verdi.

Gestern hieß es zunächst. Kanzler Gerhard Schröder werde darüber entscheiden, sobald er von seiner Golfreise zurückkomme. Später dementierte ein Regierungssprecher: Es gebe keine Pläne für ein kurzfristiges Konjunkturprogramm. Wichtig sei es, beschlossene Reformen wie Hartz IV konsequent umzusetzen. Die Regierung lehne ein Programm ab, das nur kurzfristige Strohfeuereffekte auslöse, ohne strukturelle Veränderungen zu bewirken. Konjunkturspritze ja oder nein - die AZ fragte dazu die zwei derzeit bekanntesten Ökonomen Deutschlands.

"Nicht alles kaputtsparen"

AZ: Herr Professor Bofinger, braucht Deutschland ein Konjunkturprogramm?

PETER BOFINGER: Wir haben eindeutig das Problem, dass die öffentliche Hand zu wenig Geld für Infrastruktur ausgibt. Die Ausgaben liegen deutlich unter EU-Durchschnitt. Davon geht ein dämpfender Effekt für die Konjunktur aus. Man sollte die Ausgaben eher hochfahren, statt sie zu kürzen. Schließlich kommt der Bau von Schulen und Straßen vor allem künftigen Generationen zugute.

Andere sagen, Konjunkturprogramme wirkten wie Strohfeuer.

Das ist keineswegs eindeutig bewiesen. Die USA und Großbritannien haben in den 90er Jahren wie auch in den letzten Jahren sehr erfolgreiche Konjunkturprogramme aufgelegt.

Aber die USA waren vorher kaum verschuldet - im Gegensatz zu Deutschland.

Sicherlich ist die hohe Verschuldung ein großes Problem. Aber es ist auch ein Fehler, voller Angst auf das Defizitkriterium von drei Prozent zu schauen. Es ist besser, aus der Verschuldung herauszuwachsen, als sich kaputtzusparen. In meinem neuen Buch "Wir sind besser als wir glauben" zeige ich auf, dass das Mittel des Sparens und Streichens, das wir seit Jahren praktizieren, die Krise noch verschärft hat.

Was würden Sie tun?

Was ist denn unser Problem? Sicher nicht die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der Firmen, das zeigt sich am boomenden Export. Das Problem liegt bei der Inlandsnachfrage: Die Verbraucher haben Angst um ihre Jobs, ihre Einkommen gehen real zurück, deshalb kaufen sie nichts, deshalb springt die Wirtschaft nicht an.

Wie wollen Sie diesen Trend brechen?

Man muss ernsthaft darüber nachdenken, ob die Lohnzurückhaltung der letzten Jahre so fortgesetzt werden darf. Ich halte nichts von exzessiven Erhöhungen. Aber die Löhne sollten wieder so steigen, dass sie sich am Produktivitätsfortschritt ausrichten, der bei etwa einem Prozent liegt, und dazu einen Inflationsausgleich gewähren. Wer heute für Nullrunden oder Lohnkürzungen plädiert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob Firmen damit nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen.

Aber wenn die Löhne steigen, wird Arbeit noch teurer, noch mehr Firmen wandern ab ...

Bei einer produktivitätsorientierten Lohnentwicklung bleiben die Stückkosten auf dem derzeitigen sehr wettbewerbsfähigen Niveau. Zudem kann ich keine übermäßige Abwanderung von Arbeitsplätzen nach Osteuropa feststellen Die vorn DIHK geschätzte Zahl von insgesamt 50 000 verlagerten Stellen pro Jahr ist bei 8 Millionen Industriearbeitsplätzen nicht hoch.

 

"Es ist kaum noch Stroh da"

Herr Professor Sinn, braucht Deutschland ein Konjunkturprogramm?

HANS-WERNER SINN: Ein klares Nein. 2004 war ein relativ gutes Jahr, die Weltwirtschaft wuchs wie seit 28 Jahren nicht. Auch in Deutschland lag das Wachstum mit 1,6 Prozent über dem Trend von 1,0 Prozent. Wenn wir da schon die Konjunktur ankurbeln müssen, was machen wir dann erst im Abschwung?

Aber Deutschland hat eine Rekord-Arbeitslosigkeit von 5,2 Millionen. Muss man nichts dagegen tun?

Die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland ist nicht konjunkturell bedingt, sondern strukturell. Da helfen keine Konjunkturprogramme, sondern nur die Beseitigung der strukturellen Schwächen.

Die da wären?

Unternehmer investieren nicht in Deutschland, weil die Arbeitskosten zu hoch sind. Sie verlagern bestehende Arbeitsplätze in billigere Länder. Der Trend zum Jobabbau lässt sich nur beseitigen, wenn Lohnkosten und Lohnnebenkosten sinken.

Um wie viel würden Sie die Löhne senken?

Ich kann und will sie nicht senken. Das ist Sache des Marktes. Fürs Erste wäre ich für eine Verlängerung der Arbeitszeit von 38 auf 42 Stunden bei gleichen Löhnen. Das erhöht die Produktivität der Arbeiter, ohne dass sie mehr kosten. So werden auch mehr eingestellt.

Aber auch eine längere Arbeitszeit würde die ohnehin schlechte Stimmung verschlechtern.

Die Stimmung der Bundesbürger ist deshalb so schlecht, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Und das liegt daran, dass die Stimmung bei den Unternehmern so schlecht ist. Sie investieren nicht in Deutschland, weil sie sich nicht auf Jahre an einen teuren Standort binden wollen. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen. Ein Konjunkturprogramm kann das nicht.

Aber es könnte schnell Jobs schaffen, zum Beispiel in den Kommunen.

Es würde wie ein Strohfeuer wirken. Damit kriegt man ein Haus nicht warm. Außerdem ist irgendwann kein Stroh mehr da, wenn man es schon im Aufschwung verfeuert.

Wie viel Stroh ist noch da?

Nicht mehr viel. Wir müssen bei den Nachbarn ja schon betteln gehen. Deutschland verletzt seit drei Jahren die EU-Verschuldungsgrenze von 3 Prozent. Ein Konjunkturprogramm würde die Lage noch verschlimmern. Es führt noch nicht in den Staatsbankrott, aber wohl immer weiter auf die schiefe Bahn: Wachsen die Schulden noch weiter, werden Investoren noch mehr abgeschreckt. Die Arbeitsmarktsituation wird dadurch noch krasser, die Menschen müssen noch mehr Angst um ihre Arbeitsplätze haben.

Interview: H. Freiberger