"Ich kaufe auch im Eine-Welt-Laden"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23.12.2007, Nr. 51, S. 33

Der Ökonom Hans-Werner Sinn über Moral beim Einkauf, Bio als Marketingstrategie und die neue Macht der Konsumenten

Es ist Weihnachten: Reden wir über Konsum. In den vergangenen Tagen haben wir alle Geschenke gekauft und trotzdem finden einige Ökonomen, dass die Deutschen zu wenig konsumieren. Sie auch, Herr Sinn?

Nein, die Deutschen konsumieren nicht zu wenig, sie sparen zu wenig. Angesichts der demographischen Probleme, die drohen, müssen die Deutschen jetzt weniger ausgeben, um später mehr konsumieren zu können. Sie sollen über ihr Leben hinweg gerechnet natürlich nicht weniger konsumieren, aber sie sollten mehr Konsum auf das Alter verschieben. Die nachkommende Generation, von der man bislang annehmen konnte, dass sie einen im Alter finanziert, wird dann nämlich nur noch sehr dünn besetzt sein.

Das heißt, diejenigen, die dieses Weihnachten gespart haben, haben alles richtig gemacht?

Ja, das gilt vor allem für die Jüngeren. Man kann nur jedem raten, beizeiten möglichst viel auf die hohe Kante zu legen. Das Riester-Sparen, an dem sich bis jetzt nur etwa ein Drittel der Zuschussberechtigten beteiligen, muss dringend weiter ausgeweitet werden, was aber heute zunächst einmal Konsumverzicht bedeutet.

Geschenke kaufen ist sowieso anstrengend. Man wird mit Informationen über neue Produkte überschüttet - besonders im Internet. Wie soll man da noch das Richtige finden?

Zu viel Information ist sicher nicht das Problem. Information ist vielmehr die Lösung. Das Internet hat den Konsumenten nicht ohnmächtig gemacht, sondern mächtig. Auf Knopfdruck kann man dort die Preise von Anbietern aus ganz Deutschland vergleichen. Dadurch ist der Wettbewerb im Einzelhandel viel größer geworden. Außerdem kann man durch Tausch etwa bei Ebay Konsumnutzen erlangen, ohne dass dafür jemand Güter neu produzieren muss. Das hat dramatische Wohlfahrtsgewinne für die Gesellschaft gebracht.

Aber es dauert so lange, das richtige Produkt im Netz zu finden. Ist das nicht ineffizient?

Nein. Die Suchkosten sind dramatisch gesunken. Früher musste man ja von Laden zu Laden gehen, um Preise zu vergleichen. Da war ein Nachmittag schnell mal weg, und man hatte nur zwei, drei Vergleiche. Jetzt machen Sie das vom Lehnstuhl aus vor Ihrem Laptop.

Die Konsumenten interessieren sich heute nicht mehr nur für den Preis, sondern auch dafür, wo ein Produkt hergestellt wird und wie dort die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards sind. Ist das im Sinne der Wirtschaftstheorie?

Ja. Ein Produkt definiert sich nicht nur über seine physischen Produkteigenschaften, sondern auch durch den Produktionsprozess. Wenn Menschen eine Präferenz für einen bestimmten Produktionsprozess haben und wenn man den Produktionsprozess zertifizieren kann, dann kann man für das Produkt auch andere Preise verlangen.

Wie verändert das den Markt?

Biologische Produkte beispielsweise, die ohne Pestizide erzeugt werden, sind immer populärer geworden und haben sich eine gewisse Marktposition erarbeitet . . .

. . . an jeder Ecke eröffnet ein neuer Biosupermarkt. Und als die Schwarz-Gruppe, zu der auch der Discounter Lidl gehört, den Biosupermarkt Basic übernehmen wollte, haben die Kunden Basic boykottiert, bis Lidl sich zurückgezogen hat.

Das ist das gute Recht der Kunden. Und es steht ihnen völlig frei, weitere Produkteigenschaften zu definieren, die sie für wichtig halten.

Aber verschenken wir nicht Effizienzvorteile? Ein Zusammenschluss von Lidl und Basic hätte doch viel Geld gespart.

Nein, wenn die Konsumenten das nicht wollen, dann ist es auch nicht effizient. Der Konsument ist der Souverän - egal, was er will, solange er andere nicht schädigt. Viel wichtiger als politische Abstimmungsprozesse sind die täglichen Abstimmungen, die wir mit unserem Portemonnaie vollziehen. In unserem Portemonnaie haben wir Stimmzettel, die wir bei jedem Kauf abgeben. Wo die Stimmzettel abgegeben werden, dort wandern die Produktionsfaktoren hin und produzieren die Güter, die verlangt werden. Das ist das Wesen der Marktwirtschaft.

Es gibt eine Gruppe von Konsumenten, die nach dem Ausstieg der Schwarz-Gruppe bei Basic feiert, dass die Kunden endlich ihre Macht entdeckt hätten und mit ihrer Macht den Markt beeinflussen könnten. Ist das nicht banal?

Vielleicht, aber völlig richtig. Wer will, dass Bioprodukte angebaut werden, muss sie kaufen. Man sollte nicht lamentieren, sondern sich lieber beim Kauf so entscheiden, dass das herauskommt, was man will. Man kann strategisch konsumieren.

Dann brauchen wir den Staat nicht, um Bioprodukte zu schützen?

Eine Informationspflicht über Produkteigenschaften halte ich für erforderlich, und dafür brauchen wir den Staat. Aber darüber hinaus sollte der Staat bei Bioprodukten nicht eingreifen. Man darf im Übrigen nicht übersehen, dass die wahre Motivation hinter solchen Bewegungen wie der Biobewegung häufig weniger bei den Verbrauchern als bei den Anbietern zu finden ist, die sich vor Konkurrenz schützen wollen. Die Bioläden wollen den Konsumenten klarmachen, dass sie die besseren Produkte haben. Deshalb unterstützen sie entsprechende Bewegungen der Konsumenten.

Bio ist also eine Marketingstrategie?

Ja. Ein guter Marketingchef versucht immer, sich eine Klientel von Leuten zu schaffen, die auf das Produkt schwören. Mercedes hat Mercedes-Liebhaber, BMW will den Kunden klarmachen, dass ein BMW etwas Übersinnliches ist, und Bioläden suggerieren eben, dass ihre Produkte etwas Besonderes sind. Ich möchte mir kein Urteil anmaßen über die Wahrheit dieser Behauptungen. Immer aber steckt ein Gewinninteresse der entsprechenden Erzeuger dahinter. Das ist gleichermaßen legitim wie schnöde. Als Volkswirt sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, über Konsumentenpräferenzen Werturteile zu fällen.

Wie kaufen Sie ein, Herr Sinn? Sind Sie ein strategischer Konsument?

Nun, ich kaufe auch im Eine-Welt-Laden einer guten Freundin, weil ich die Bewegung gut finde. Aber ich achte auch auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis - und das kriege ich genau in diesem Laden. Ich konsumiere auch Produkte vom Bauern in der Nähe. Das tue ich aber nicht aus ideologischen Gründen. Ich wüsste auch nicht, welche Grundsätze ich bei strategischem Konsum zugrunde legen sollte.

Wie wäre es mit: „Kauf da ein, wo du wohnst“ oder „Kauf Fair-Trade-Produkte“. Das wäre nichts für Sie?

Nur das zu kaufen, was vor Ort produziert wird, halte ich für verfehlt. Fair-Trade-Produkte zu kaufen halte ich für löblich. Das Beste, was man für die Armen der Welt tun kann, ist es, den Freihandel zu fördern. Die Ausweitung des Freihandels durch die Globalisierung hat den Anteil der Menschheit, der mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen muss, innerhalb von zwanzig Jahren von 44 auf 13 Prozent gesenkt. Die Beteiligung Chinas und Indiens am Welthandel hat auf geradezu dramatische Weise geholfen, die Armut der Welt zu überwinden.

Sollte man auch darauf achten, dass die Güter, die man kauft, umweltschonend hergestellt werden?

Das hängt davon ab, ob nationale oder internationale Umweltschäden auftreten. Wenn man bestimmte Produkte nicht kauft, weil sie aus Ländern stammen, die ihre eigene, lokale Umwelt vernachlässigen, schädigt man die dort lebenden Menschen. Man schwingt sich zum Lehrmeister dieser Menschen auf. Leuten, denen es dreckig geht, unsere deutschen Umweltstandards vorzuschreiben und ihnen damit die Chancen für wirtschaftliche Betätigung zu nehmen, ist ziemlich vermessen. Die wollen vielleicht erst mal etwas zu essen haben, bevor sie ihre Arbeitszeit für das Säubern der Gewässer verwenden. Am besten hilft man ihnen, wenn man ihre Produkte kauft. Wie sie die produzieren, das sollten sie selbst entscheiden. Wenn aber internationale Umweltschäden erzeugt werden, die über die Landesgrenzen hinaus streuen, wie etwa hohe CO2-Emissionen, verhält es sich anders. In solchen Fällen sind internationale Übereinkünfte zur Begrenzung der Schäden angebracht.

Was halten Sie davon, wenn westliche Unternehmen moralische Standards im Handel fordern?

Dass heimische Hersteller ausländischen Konkurrenten Sozialstandards vorschreiben wollen, ist kein Zeichen von Altruismus. Die Hersteller benutzen scheinbar moralische Argumente, um sich der möglichen Wettbewerber aus Niedriglohnländern zu erwehren. Das ist Protektionismus, der zu Lasten der Armen der Welt geht. Zum Schluss geht das so weit, dass man keine Produkte aus Niedriglohnländern mehr kaufen darf, weil die Löhne zu niedrig sind. Dann bleiben die Armen ewig arm.

Wer also strategisch konsumieren will, muss aufpassen.

Ja, viel zu viel in unserem Land wird mit einem moralischen Mäntelchen behängt und dient in Wahrheit nur schnöden Profitinteressen. Denken Sie an den Mindestlohn. Der Bevölkerung wird suggeriert, es ginge um Sozialpolitik. In Wahrheit geht es aber darum, die private Post vor ihren Wettbewerbern zu schützen. Von der Sorte haben wir doch viel zu viel in dieser Gesellschaft.