Verantwortung der Politik

Interview mit Hans-Werner Sinn, Rheinische Post, 19.01.2008, Nr. 17/2008, S. C1

Ifo-Chef Sinn über den Fall Nokia

Hätten Sie den Mumm, sich an einem Tag wie heute vor das Werkstor von Nokia zu stellen und zu sagen: Deutschland profitiert insgesamt doch von der Globalisierung?

Meine zentrale These, so auch in meinem Buch „Die Basar-Ökonomie“ dargelegt, ist, dass Deutschland in den letzten anderthalb Jahrzehnten nicht in der Lage war, Globalisierungsgewinne zu erzielen, weil seine Lohnstrukturen starr waren. Die Lohnkosten in der Industrie sind noch immer die dritthöchsten der Welt. Die Folge ist, dass die Globalisierung zu einem massiven Arbeitsplatzabbau in der Industrie führte, der stärker war als irgendwo sonst in der Welt.

Was sagen Sie zu Vorständen, die offen sagen, sie ziehen immer dorthin, wo es die niedrigsten Löhne und die höchsten Subventionen gibt?

Sie verhalten sich rational. Wenn sie es nicht tun, geht ihr Unternehmen unter. Das Problem liegt nicht dort, sondern bei der Politik und den Gewerkschaften, die sich mit politischer Macht gegen die Nivellierungstendenzen der Globalisierung stemmen. Die derzeitige Debatte um die Mindestlöhne ist nur die logische Fortführung einer Politik, die über Jahrzehnte hinweg vergeblich versucht hat, den Kräften der Globalisierung zu trotzen. Ich plädiere damit nicht für mehr Ungleichheit, wohl aber für eine andere Sozialpolitik, die statt auf Lohndiktate auf den umverteilenden Sozialstaat setzt.

Was kann, was muss Deutschland tun, um im internationalen Standortwettbewerb zu bestehen?

Erstens muss Deutschland die Bildung forcieren, damit wir so viel besser werden, wie wir teurer sind. Zweitens muss es seine Mindestlohnpläne aufgeben und stattdessen auf eine Politik der Mindesteinkommenssicherung setzen. Der Lohn muss sich nach den Gegebenheiten der globalisierten Welt richten, aber das Einkommen der Arbeiter nicht. Das kann man in Maßen durch eine umverteilende Sozialpolitik erhöhen. Die Devise muss aber sein: Das staatliche Geld gibt es fürs Mitmachen statt fürs Wegbleiben. Niedrige Löhne bezuschussen wir, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben.