Wege aus der Finanzkrise – mögliche Folgen für die Realwirtschaft

Die Wirtschaftsprüfung, 01.12.2008, Nr. 25/2008, S. 1098

Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn

Hätte uns - ohne die international geschnürten Rettungspakete - nach dem Börsen-Crash am 10. Oktober eine Art „Kernschmelze" getroffen?

Sinn: Ja, die Situation wäre mit jener von 1929 vergleichbar - mit allen realwirtschaftlichen Konsequenzen. Die Rettungspakete mit einem Betrag von über 3250 Mrd. Euro stabilisieren aber den Markt.

Ist die Gefahr also gebannt?

Sinn: Nur mittelbar, denn alle Indizes weisen auf eine weltweite Rezession hin. So hat sich auch der ifo Geschäftsklimaindex im 3. Quartal 2008 zum vierten Mal in Folge verschlechtert: die wirtschaftliche Lage wird ungünstiger beurteilt, auch die Erwartungen für das nächste Halbjahr werden nach unten revidiert.

Was waren die Auslöser der Finanzmarktkrise?

Sinn: Weil amerikanische Haushalte aufgehört hatten zu sparen und Hypothekenkredite konsumptiv einsetzten, importierten die USA Kapital: heute besteht ein mit mehr als 600 Mrd. $ alle historischen Dimensionen sprengendes Leistungsbilanzdefizit. Den Kapitalimport finanzierten amerikanische Banken über einen neuen Typ von Wertpapieren, denen ausgereichte, nicht hinreichend besicherte Immobilienkredite zugrunde lagen. Diese Papiere wurden über mehrere Stufen verkauft, nicht zuletzt weil Ratingagenturen sie positiv bewerteten. Diese Verbriefungstransaktionen wurden problematisch, als der Immobilienmarkt verfiel: Wertpapierinhaber mussten ihre Forderungen abschreiben - mit den bekannten Folgen.

Ist dies Ausdruck einer anderen Risikokultur?

Sinn: Das Privileg der Haftungsbeschränkung von Kapitalgesellschaften wurde vor allem von Investmentbanken missbraucht. Bei einer Eigenkapitalquote von weniger als 4% steigt die Risikoneigung übermäßig. Das Glücksrittertum der Wall Street und der Schutz vor der Durchgriffshaftung auf das sonstige Vermögen der amerikanischen Häuslebauer haben die kaufmännische Vorsicht außer Kraft gesetzt.

Wie beurteilen Sie die politischen Reaktionen auf die Finanzmarktkrise?

Sinn: Die Liquiditätsmaßnahmen schließen eine massenhafte Insolvenz der Banken aus und gehen im Wesentlichen zu Lasten des Steuerzahlers. Sie sind entscheidender Teil des kurzfristigen Krisenmanagements. Insofern ist auch eine Teilverstaatlichung von Banken als Gegenleistung gerechtfertigt.

Warum kritisieren Sie dann das deutsche Rettungspaket?

Sinn: Es hat einen gravierenden Konstruktionsfehler, den ich mit der „Theorie der freiwilligen Bestrafung" beschreibe: Warum sollten Manager Staatshilfen beanspruchen, wenn dies mit einer Einkommensreduzierung verbunden ist? Die notwendige Rekapitalisierung wird unterbleiben, stattdessen werden die Banken - zulasten der Realwirtschaft - ihr Geschäftsvolumen reduzieren. Die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme der Rettungsmilliarden ist durch eine Pflicht zu ersetzen.

Was schlagen Sie langfristig vor?

Sinn: Basel II bedarf staatlicher Kontrolle, Offshore-Aktivitäten von Conduits sind mit Eigenkapital zu unterlegen und zu bilanzieren. Der Wildwuchs bei Finanzprodukten ist zu reduzieren. EZB und IWF sind berufen, die internationale Harmonisierung der Finanzmärkte und der Bankenaufsicht voranzutreiben und so den „Laschheits"-Wettbewerb zwischen den Ländern zu unterbinden. Auch die Fair-value-Bewertung gehört auf den Prüfstand.