„Jetzt wird Konjunkturpolitik gemacht“

Interview mit Hans-Werner Sinn, stern.de, 14.01.2009

Als im Großen und Ganzen vernünftig hat der Chef des Münchner Ifo-Instituts das Konjunkturpaket der Bundesregierung bezeichnet. Im Interview mit dem Stern erklärt Hans-Werner Sinn, welche positiven Wirkungen zu erwarten sind und was die Amerikaner machen müssen.

Herr Sinn, brauchen wir das gerade beschlossene Konjunkturpaket II der Bundesregierung wirklich?
Dieses Konjunkturpaket stärkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Diesen einprozentigen Stimulus können wir im zweiten Halbjahr gut gebrauchen. Mehr wäre nicht sinnvoll, denn die ausfallenden Exporte kann man nicht ausgleichen. Auch kann man der Investitionsgüterindustrie nicht mit Mitteln für den Konsum wieder auf die Beine helfen.

Gibt es überhaupt Möglichkeiten, Anlageinvestitionen zielgerichtet zu fördern?
Verbesserte Abschreibungsbedingungen für Unternehmen sind ein wirksamer Stimulus. Sie waren im Konjunkturpaket I bereits enthalten. Viel mehr geht von den Anreizen her gesehen leider nicht.

Sind nicht auch staatliche Infrastrukturprojekte gut für die Industrie?
Ja, damit kann man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Die Infrastruktur in Westdeutschland wurde 20 Jahre lang vernachlässigt, und Sanierungsmaßnahmen wirken sich positiv nicht nur auf die Bauindustrie aus, sondern auf alle, die diese Infrastruktur später nutzen können.

Aber der Baubranche geht es doch momentan noch recht gut?
Ab Mitte des Jahres wird die Baukonjunktur nachlassen. Deswegen ist es richtig, dort zu helfen und die Beschäftigung zu stabilisieren.

Was halten Sie von den geplanten Steueränderungen?
Gegen die so genannte kalte Progression, den Anstieg der Steuerquote durch mangelnden Inflationsausgleich, sollte man eigentlich ständig vorgehen. Zwischen 2005 und 2007 sind die Einkommensteuereinnahmen um 22 Prozent gestiegen, die Einkommen aber nur um acht Prozent. Deswegen sollte man den Tarif auf Räder stellen und sämtliche Progressions-Grenzen und Freibeträge jährlich im Ausmaß der Wachstumsrate des Sozialprodukts erhöhen. Tatsächlich sollen aber jetzt alle Grenzen um den gleichen Absolutbetrag von 400 Euro erhöht werden. Damit wird die kalte Progression nur zum Teil korrigiert. Immerhin hat man die Steuererhöhungen ein bisschen abgeschwächt. Das ist mehr als nichts.

Wie sehen Sie den Kinderbonus von 100 Euro?
Der Staat sollte eher ein Kindersplitting bei der Einkommensteuer einführen, damit Kinder dauerhaft gefördert werden. Einmalig 100 Euro zu zahlen hat nicht mehr als symbolische Bedeutung.

Auch die Krankenkassenbeiträge sollen sinken. Finden Sie das gut?
Ich habe große Bedenken bei der Subventionierung unseres Krankenversicherungs-Systems. Das ist sowieso eine solche Missgeburt, dass es wenig Sinn macht, da noch Geld rein zu stecken. Wir brauchen mehr und nicht weniger Beitragsäquivalenz.

Hilft es wenigstens der Konjunktur?
Immer, wenn die Bürger irgendwie mehr Geld zur Verfügung haben, bringt es auch der Konjunktur etwas. Aber man muss auch darauf achten, wer es am Ende bezahlt. Momentan scheinen viele zu denken, der liebe Gott stelle das Geld für die Konjunkturhilfen zur Verfügung und nicht die Steuerzahler.

Aber können uns nicht schnelle Konsumausgaben durch die Krise helfen?
Da liegt nicht das Hauptproblem. Der Konsum bei uns ist recht stabil. Anders ist es in Amerika. Aber dort ist die Krise durch den anhaltenden Überkonsum der Amerikaner ausgelöst worden. Und jetzt versucht man, dieses ungesunde Konsumniveau künstlich zu halten. Amerika muss lernen, mit weniger Konsum auszukommen. Dort hat man zu lange über die eigenen Verhältnisse gelebt.

Also halten Sie auch nichts von den Absatzhilfen für die Autoindustrie?
Die Autoindustrie ist besonders stark von der Krise betroffen. Die Hilfen treffen also die Richtigen.

Genügt es nicht, dass man der Industrie insgesamt 100 Milliarden Euro Kreditbürgschaften anbietet?
Hier bin ich äußerst skeptisch. Besser wäre es gewesen, die Banken zu zwingen, das Eigenkapital aus dem Rettungsschirm der Finanzbranche anzunehmen. Dann käme es nicht zu der von vielen befürchteten Kreditklemme. Nun Bürgschaften auszugeben ist der falsche Weg: Will der Staat denn jetzt plötzlich entscheiden, wo investiert wird? Das kann er gar nicht. Da wird viel Geld in den Sand gesetzt werden. Gott behüte uns vor einer staatlichen Investitionslenkung.

Aber generell finden Sie das Konjunkturpaket II richtig?
Ja, im Prinzip und im Großen und Ganzen ist das Paket vernünftig. Natürlich wollte jeder das Füllhorn auf seine Klientel richten. Aber das muss man wohl akzeptieren. Das ist die politische Realität. Immerhin wird jetzt Konjunkturpolitik gemacht, damit die Krise nicht die Ausmaße von 1929 annimmt."

Interview: Jan Boris Wintzenburg