„Im Herbst nachlegen“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Financial Times Deutschland, 13.03.2009, Nr. 50, S. 14

FTD: Haben die Amerikaner recht, wenn sie von Europa mehr Geld für Konjunkturpakete fordern?

Hans-Werner Sinn: Nein, momentan reichen die Pakete noch aus. Deutschland etwa stabilisiert die Weltkonjunktur derzeit stärker als fast jedes andere Land: Dank der immer noch recht stabilen Binnenkonjunktur ist Deutschlands Import die große Konstante in dieser unruhigen Welt. Aber im Herbst sollten wir noch ein weiteres Konjunkturpaket auflegen.

FTD: Warum?

Sinn: Deutschland folgt der USKonjunktur mit einer Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren: Wir werden frühestens im Winter 2010 da sein, wo die USA im letzten Herbst waren – die Arbeitslosigkeit wird dramatisch steigen.

FTD: US-Ökonom Krugman sagt, die Deutschen hätten die Heftigkeit der Krise noch gar nicht begriffen.

Sinn: Das ist richtig, aber verständlich. Wir hatten zur Jahreswende die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 16 Jahren, die USA dagegen schon die höchste. Die Welle kommt von Amerika nach Europa. Erst wurden England und Spanien erfasst, und jetzt kommen auch wir dran. Für den Winter und 2010 brauchen wir das dritte Konjunkturprogramm, jetzt aber noch nicht.

FTD: Die EU will auf dem Gipfel Anfang April Finanzmarktregeln durchsetzen. Hat das Priorität?

Sinn: Sicher. Die EU hat einen Hebel in der Hand: Sie kann ihre Regulierungswünsche durchsetzen, weil die Zeit dafür reif ist. Um Druck aufzubauen, sollte sie weitere europäische Konjunkturhilfen vom Einlenken der USA bei der Regulierung abhängig machen.

FTD: Gefährden Defizite den Euro?

Sinn: Alles kann den Euro gefährden, vor allem aber das Nichtstun. Wir brauchen die Defizite, um nach keynesianischem Muster die Nachfrage zu stärken. Uns bleibt keine andere Wahl.

Hans-Werner Sinn gehört zu den profiliertesten deutschen Ökonomen. Er leitet das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung.

Interview: Birgit Marschall