„Banken sollten mehr Eigenkapital haben“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Luxemburger Wort, 14.03.2009, S. 101

Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler zu Fragen rund um Verstaatlichung und Bankgeheimnis

Der Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München gehört zu Deutschlands gefragtesten Wirtschaftswissenschaftlern. Gestern beantwortete er den Bankern des DZI-Forums Fragen – und vorab dem Luxemburger Wort.

Herr Sinn, jetzt ist die Krise da – und keiner will es gewesen sein. Wem geben Sie die Schuld?

Wir haben eine Systemkrise, da sind Millionen von Menschen involviert. Sie beruht darauf, das die Spielregeln falsch gesetzt sind; vor allem in den USA. Das fing an mit den Regeln für die Immobilienverkäufe. Dafür gab es regressfreie Kredite. Wenn der Wert fiel, haben die Käufer einfach die Schlüssel zurückgegeben. Das verführte natürlich zum Zocken. Bei den Banken war es ähnlich. Banken haben ihre Geschäfte mit wenig Eigenkapital unterfüttert und können eigentlich nur gewinnen, weil der Staat für die Verluste aufkommt.

Wie viel Eigenkapital sollte eine Bank denn haben?

Nun, so viel wie ihre Kunden! Wenn ich zur Bank gehe, erhalte ich auch nicht hundert Prozent, sondern vielleicht achtzig und muss Sicherheiten liefern. Bei der Bank sollte das nicht anders sein.

In letzter Zeit wurde viel über das Bankgeheimnis diskutiert. Luxemburg wurde heftig angegriffen. Wie sehen Sie seine Zukunft als Standort?

Der Standortwettbewerb ist meiner Meinung nach nicht funktionsfähig. Er führt zu keinem guten Ergebnis. Letztlich bleibt nur eine Erosion der Standards. Der Wettbewerb der Länder untereinander ist der Grund dafür, dass die Banken unzureichend kontrolliert und reguliert wurden. Luxemburg hat beim Wettbewerb um Gesetze, die für einen Fonds-Standort von Vorteil sind, bislang sehr effizient gespielt. Was das Bankgeheimnis angeht, so denke ich, geht der Staat zu weit, wenn er ohne staatsanwaltlichen Befehl in die Konten schaut. Das sollte harmonisiert werden.

Welche Rolle sollte der Staat noch spielen? In der Vergangenheit wurde doch immer gefordert, er solle sich raushalten.

Was die Banken betrifft, nicht von mir. Ich habe seit vielen Jahren die strengere Regulierung der Banken gefordert. Jetzt muss der Staat auf jeden Fall helfen, dazu gibt es keine Alternative.

Möglicherweise gibt es auch noch sehr viel mehr Bankpleiten.

Bevor man eine Pleite zulässt, gibt es letztlich keine andere Möglichkeit als Verstaatlichung. Die Frage ist, wie machen wir später weiter, wie geht der Staat dann wieder heraus? Er muss die Aktien in guten Zeiten wieder verkaufen und macht dann vielleicht sogar ein Geschäft.

Wie sollte der Bankensektor reformiert werden?

Die Offshore-Geschäfte in den Zweckgesellschaften müssen zu Hause bilanziert werden. Nehmen Sie nur die Hypo Real Estate, da waren die Geschäfte bei der irischen Tochter Depfa nicht mit Eigenkapital unterlegt. Gleiches gilt auch für bestimmte Rechtsformen wie beispielsweise Hedge Fonds. Zweitens bräuchte man mehr Eigenkapital, um einen größeren Puffer zu haben und einen Anreiz, vorsichtiger zu werden.

Können Sie als Ordo-Liberaler eine Kursänderung beobachten?

Der Kapitalismus angelsächsischer Prägung wird durch die Krise schon sehr stark hinterfragt. Ordo-Liberalismus bedeutet ja, dass man eben nicht einen völlig unregulierten Markt will, sondern eine Regulierung des Marktes. Auch Amerika bewegt sich mental jetzt in diese Richtung. Es war überfällig.

Hat Basel II letztendlich den Banken eine große Freiheit bei der Kontrolle ihrer Kreditnehmer eingeräumt, ohne dass sie gleichzeitig reguliert werden?

Die Banken werden natürlich auch kontrolliert. Aber sie müssen dann eine Kernkapitalquote von acht Prozent nachweisen. Das ist jedoch viel zu niedrig, denn in Wirklichkeit bedeutet das zwei Prozent bezüglich der Bilanzsumme. Nehmen Sie die Deutsche Bank, die zehn Prozent Kernkapital hat. Das entspricht real knapp zwei Prozent Eigenkapitalquote bezüglich der Bilanz. Denn das Problem sind die risikogewichteten Aktiva. Da tauchen viele Geschäfte gar nicht erst auf. Geschäfte mit Ländern wie Lettland, Island oder Ungarn gelten ja als sicher ...

Sie haben auch über Klimapolitik geschrieben. Welche Rolle kann sie noch spielen, wenn schon zuvor kein Geld dafür da war?

Ich befürchte, für die Klimapolitik bleibt wenig übrig. Aber bislang war vieles auch rausgeworfenes Geld. Damit meine ich nicht Kioto, das ist sehr wichtig. Wenn die USA, China und Indien mitmachen, wird ein Schuh daraus. Aber in Deutschland beispielsweise werden teuere Instrumente entwickelt, die man gar nicht braucht, weil es schon den Emissionshandel gibt. Das ist dann doppelt gemoppelt und recht wirkungslos.

Wie wollen die jetzt hochverschuldeten Länder von dem Riesenberg Schulden wieder herunterkommen?

Ich weiß es nicht. Möglicherweise wird es eine einfache Lösung geben wie beispielsweise Steuererhöhungen. Das ist für die meisten Regierungen immer noch leichter, als die Etats ihrer Ministerien zusammenzustreichen. Aber es gibt heute keine Alternative zu Schulden. Die Länder der Welt haben gigantische keynesianische Verschuldungsprogramme aufgebaut, und das war gut so, ähnlich wie der New Deal nach der großen Wirtschaftskrise in den USA.

Welche Chancen sehen Sie für eine internationale Finanzaufsicht?

Die Amerikaner blocken das ab. Wenn es etwas wird, dann vermutlich nur wieder wachsweiche Vereinbarungen. Anders ist es auf EU-Ebene. Da ist allen klar, dass wir eine europäische Finanzaufsicht unter der Leitung der Europäischen Zentralbank brauchen. Das hat das Ifo-Institut aber schon vor drei Jahren gesagt. Nur wollte es damals keiner hören. Journalisten greifen meiner Erfahrung nach nur das auf, was ihnen gerade aktuell erscheint.

Interview: Cordelia Chaton