„Wir müssen die Euro-Zone neu ordnen"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Dresdner Neueste Nachrichten, 07.07.2013, S. 9

ifo Präsident Hans-Werner Sinn rät südeuropäischen Ländern zu einer eigenen Währung

Dresden (DNN). An der hohen Arbeitslosigkeit in Südeuropa zeigt sich nach Ansicht von Hans-Werner Sinn (65), dass die Krise im Euroraum noch längst nicht vorbei ist. Sie sei ungebrochen, sagte der Präsident des Münchner ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, im Interview bei einem Redaktionsbesuch.

Frage: Es ist relativ ruhig um den Euro geworden. Ist das Schlimmste in der Krise nach all den Rettungspaketen vorbei?

Hans-Werner Sinn: Nein, die Realkrise ist ungebrochen. Das sieht man an der hohen Arbeitslosigkeit der südlichen Länder, etwa 27 Prozent in Spanien und Griechenland oder gut 18 Prozent in Portugal. Sie nimmt in einzelnen Staaten sogar zu. Die Finanzkrise kommt alle paar Monate wieder hoch, wenn das Geld, das zur Verfügung gestellt wurde, verbraucht ist und die Betroffenen nicht in der Lage sind, die Auflagen der Troika zu erfüllen.

In welchen Ländern hakt es?

Das werden wir jetzt im Herbst erleben in Portugal, Griechenland wird wiederkommen, Slowenien ist unterwegs. Das wird auch noch eine Weile so bleiben.

Die Aufregung ist nicht mehr so groß. Haben wir uns an die Krise gewöhnt?

Die große Aufregung wurde beigelegt im vorigen Sommer, als die Europäische Zentralbank, die EZB, den Inhabern von Staatspapieren der südlichen Länder verkündet hatte, sie sollten sich keine Sorgen machen, bevor ein Staat in Konkurs geht, würde die EZB die Papiere übernehmen und die Abschreibungsverluste in ihre Bücher übertragen. Das heißt, dass die Steuerzahler der noch gesunden Länder dann diese Lasten stemmen, die Zeche bezahlen. Sie müssten sich eigentlich aufregen. Das tun sie aber nicht. Weil sie nicht so aufmerksam sind wie die Akteure auf dem Finanzmarkt. Sie sind gutgläubig und vertrauen dem System.

Griechenland denkt offenbar an einen neuen Schuldenschnitt, in Portugal bricht die Regierung auseinander - Indizien für eine Verschärfung der Krise?

Die Krise kommt immer in Wellen. Man darf nicht durch den Rückgang der Nervosität an den Finanzmärkten an das Ende der Krise glauben.

Hat der Euro so überhaupt noch eine Chance?

Natürlich. Ich glaube, man sollte ihn erhalten. Aber man muss sich vor einer ideologischen Überhöhung schützen. Der Euro ist nicht Ziel an sich, sondern Ziel sind Frieden und Prosperität in Europa. Der Euro muss sich daran messen lassen, ob er diesem Ziel als Instrument dient. In der öffentlichen Diskussion herrscht oft eine Begriffsverwirrung. Ich stelle mit Verwunderung fest, dass ein bloßes technisches Instrument wie ein Zahlungsmittel zu einem Ziel erklärt wird.

Wie kann die Krise bekämpft werden? Die Südländer sollen sparen und sich reformieren, aber manche sagen, sie würden kaputtgespart.

Die Länder, die in Schwierigkeiten sind, haben sich schlicht und einfach überschuldet. Sie schädigten ihre Wirtschaft massiv, indem sie zu hohe Kredite aufgenommen und dadurch eine Inflationsblase zugelassen haben. Dadurch verloren sie ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Märkte wollen diese Länder nicht mehr finanzieren. Diese sind seit Jahren davon abhängig, dass sie von anderen Staaten und der EZB finanziert werden. Wenn die Geldgeber nicht so viel geben, wie sie gerne hätten, dann empfinden sie das als restriktive Haushaltspolitik. Das kommt aber ausschließlich von den Märkten und wird durch die Geldgeber gelindert. Deutschland ist der größte Linderer.

Noch mal: Wie kommen die Länder aus der Krise?

Das Grundproblem ist die fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Die stellt man nur wieder her, wenn man billiger wird. Da gibt es theoretisch vier Möglichkeiten: Deutschland tut ihnen den Gefallen und inflationiert. Die zweite Möglichkeit ist, dass die Krisenstaaten ihre Löhne und Preise senken.

Möglichkeit drei?

Sie treten aus. Das gibt im Vorfeld Kapitalflucht und einen Run auf die Banken. Die vierte Alternative ist, die Ländern durchzufinanzieren. Das wäre dann eine Transferunion.

Was bevorzugen Sie?

Keine dieser vier Möglichkeiten ist angenehm. Aus der Sicht mancher betroffener Ländern und ihrer Gläubiger ist die vierte Version die beste. Es leuchtet mir ein, dass sie es begrüßen würden, wenn andere die Zeche übernehmen. Nur den anderen sollte es nicht einleuchten.

Also?

Der Inflationsweg bei uns ist durch die Maastricht-Kriterien ausgeschlossen. Die Lohn- uns Preissenkung durch die Krisenländer ist kaum möglich. Das würde Massenarbeitslosigkeit bedeuten und mit brutaler Gewalt diese Länder herunterdrücken. Dadurch würden ihre Gesellschaften zerbrechen. Da bleibt nur noch der Austritt. Wir müssen die Euro-Zone neu ordnen. Das eine oder andere Land täte sicher besser daran, nicht im Euro mitzumachen, sondern eine separate Währung zu haben. Das wäre gleichbedeutend mit einer Abwertung und somit einer Steigerung der Wettbewerbsfdhigkeit.

Wer kommt zuerst infrage?

Das möchte ich nicht sagen. Das müssen die Länder selber entscheiden. Aber wir können diese Entscheidung nicht künstlich hinauszögern, indem wir immer mehr Geld zur Verfügung stellen. Die Zinsen in Deutschland sind so niedrig, dass Renten- und Pensionskassen klagen, andererseits profitieren davon Häuslebauer.

Welche Gefahren lauern?

Niedrige Zinsen sind gut für die Schuldner und schlecht für die Gläubiger. Deutschland ist in der Summe Gläubigerland, daher ist es schlecht für uns. Die Bundesrepublik ist der größte Kapitalexporteur der Welt. Dieses Kapital wird nicht mehr angemessen verzinst. Es sind bereits riesige Vermögensverluste entstanden, für die Banken, für die Versicherungsgesellschaften. Das schlägt durch auf die Kleinsparer.

Stehen wir mittelfristig vor einer hohen Inflation?

Die Inflationsgefahr ist latent vorhanden. Aber ich glaube, sie ist nicht die Hauptgefahr.

Sondern?

Sie liegt in den fiskalischen Risiken, die wir uns durch die Rettungsaktionen aufgebürdet haben. Die EZB hat für rund 800 Milliarden Euro Kredite gegeben. Es sieht nicht so aus, als könnten sie bedient werden. Dadurch werden die Kredite gestreckt bis zum Geht-nicht-mehr. Man kann die Fiktion aufrecht erhalten, man hätte noch eine Forderung. In Wirklichkeit aber ist sie nichts mehr wert. Das Geld ist verbrannt.

Interview: Ulrich Langer und Ulrich Milde