Die Eurozone ist nicht aus dem Schneider

Interview mit Hans-Werner Sinn, Moritz Schularick und Daniela Schwarzer www.dw.de, 14.4.2014, S. 24

Die guten Nachrichten aus der Eurozone häufen sich: Die Rezession ist vorbei, ebenso das Gedränge unter dem Rettungsschirm. Ist die Krise gebannt? Keineswegs, meinen Experten.

2014 scheint das Jahr der Wende für die Eurozone zu sein: Nach zwei Jahren Rezession wird die Wirtschaftsleistung der 18 Euroländer wieder zulegen, wenn auch nur um rund ein Prozent. Noch ermutigender klingt die Nachricht, dass Irland und Spanien den Euro-Rettungsschirm ESM verlassen haben. Kann die Eurokrise tatsächlich ad acta gelegt werden? Nein, sagt Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo Instituts. Seiner Meinung nach ist die Erholung nicht nachhaltig. Sie betreffe nur die Finanzmärkte, ändere aber nichts an der wirtschaftlichen Misere. Als Beispiel nennt er neue Rettunsgschirme wie das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB). Dadurch würden Anleger geschützt, die Staatspapiere der südlichen Länder gekauft haben, weil die EZB ihnen im Zweifel die Papiere abkaufe, bevor es zu einem Staatskonkurs kommt.

"Dann haben wir die Bankenunion, die ebenfalls den Schutz der Gläubiger bedeutet", sagt Sinn der Deutschen Welle. Denn die Gläubiger werden nur in sehr geringem Umfang an dem Verlust beteiligt, wenn eine Bank pleitegeht. Jedoch habe die Krise in Südeuropa zwei Dimensionen - eine Finanzkrise und eine realwirtschaftliche Krise, meint Sinn: "Die Finanzkrise hat man beruhigt oder reduziert, indem man die Kapitalanleger mit einem kollektiven Rettungsversprechen beruhigt hat, aber die realwirtschaftliche Krise wird dadurch nicht gelöst." Die Massenarbeitslosigkeit bestehe weiter. Die Industrieproduktion in Griechenland sei seit dem Ausbruch der Krise um 30 Prozent eingebrochen, so Sinn weiter.

Griechenland hat die Schulden nicht im Griff

In dem Ursprungsland der Krise hat die Arbeitslosigkeit 2013 einen Rekordwert von über 27 Prozent erreicht. Noch aussichtsloser ist die Lage für junge Menschen. Jeder zweite Grieche unter 24 sucht vergebens nach einer Arbeit. Die griechischen Staatsschulden, die Ende 2009 den Flächenbrand in der Eurozone überhaupt erst entfacht haben, machen trotz eines Schuldenschnitts inzwischen 180 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes aus, genauso viel wie vor dem Ausbruch der Krise. "Wenn man sich Griechenland anschaut, dann wird in den nächsten Jahren die Frage nach einem neuerlichen Schuldenschnitt nicht verstummen", sagt Wirtschaftswissenschaftler Moritz Schularick von der Universität Bonn im Interview mit der DW.

Für bedenklich hält Schularick auch die Schuldensituation in Italien. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone hat Staatsschulden von 130 Prozent der Wirtschaftsleistung angehäuft. Bereits vor der Krise hatte Italien das kleinste Wachstum in der Währungsunion. Das liegt vor allem an den überdurchschnittlich gestiegenen Lohnstückkosten und der dadurch gesunkenen Wettbewerbsfähigkeit. Der starre Arbeitsmarkt tut ein Übriges.

Frankreich am Scheideweg

Über ähnliche Probleme klagen französische Unternehmen. Auch sie können sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht so einfach von ihren Mitarbeitern trennen, weshalb sie in guten Zeiten davor zurückschrecken, neue Stellen zu schaffen. Ein niedriges Renteneintrittsalter und ein relativ hoher Mindestlohn führten dazu, dass die französische Wirtschaft im Vergleich zu Deutschland immer weniger wettbewerbsfähig wurde.

Auf der einen Seite verliert Frankreich Anteile auf den Weltmärkten, auf der anderen Seite sinkt die Binnennachfrage. "Frankreichs Wirtschaft lebt traditionell sehr stark vom Binnenkonsum. Im Moment ist die Ausgabenbereitschaft der Franzosen wegen der hohen Arbeitslosigkeit und eines geringen Vertrauens in die Zukunft nicht besonders hoch", sagt Daniela Schwarzer, Direktorin des Europaprogramms bei der US-Stiftung German Marshall Fund, gegenüber der DW. Zudem steuert die französische Staatsverschuldung auf einhundert Prozent der Wirtschaftsleistung zu.

Um den Abwärtstrend zu stoppen, hat die neue Regierung in Paris gerade ein Reformpaket auf den Weg gebracht. Die Sorge, dass das Land an Zukunftsfähigkeit verliere, sei in der Politik und Gesellschaft sehr groß, meint Schwarzer. Deshalb schließt sie nicht aus, dass die neue Regierung es schaffen könnte, Frankreich zur wirtschaftlichen Stärke zu führen. Frankreich muss es schaffen, denn die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone ist zu groß, um gerettet zu werden.

Schwache Länder leiden unter dem starken Euro

Ein Hindernis auf diesem Weg ist der starke Euro. So hat die Gemeinschaftswährung im vergangenen Jahr gegenüber fast allen wichtigen Währungen auf der Welt an Wert gewonnen, was den Export der Krisenländer sehr belastet. Für Hans-Werner Sinn ist das eine Folge der Rettungspolitik: "Die Rettungsarchitektur hat nicht nur bedeutet, dass die Kapitalanleger von Deutschland wieder nach Spanien gehen, sondern dass sich auch die Chinesen wieder nach Europa trauen. Das hat zur Aufwertung des Euro geführt. Das ist der Kollateralschaden der Rettungspolitik."

Es zeige sich ein Konflikt zwischen dem Ziel, die Finanzmärkte zu stabilisieren und dem Ziel, die Realwirtschaft zu stabilisieren. Je mehr man das eine tue, beschädige man über den Aufwertungseffekt das andere, meint Sinn. Ohne eine dauerhafte wirtschaftliche Erholung ist die Ruhe an den Finanzmärkten nur trügerisch, oder wie der Bonner Experte Moritz Schularick es formuliert: "Wenn sich die realwirtschaftliche Situation wieder verschlechtert, dann ist der Friede und die Ruhe an den Finanzmärkten schnell vorbei."

Autorin/Autor: Zhang Danhong