„Massive Kapitalflucht aus Italien“

Interview mit Hans-Werner Sinn, www.faz.net, 17.01.2015

Warum hat die Schweiz ihre Bindung an den Euro so schnell aufgelöst? Der Ökonom Hans-Werner Sinn glaubt: Es lag daran, dass sehr viel Geld in die Schweiz geflossen ist.

FAZ: Die Schweiz hat ihre Teilbindung an den Euro aufgegeben und lässt den Franken aufwerten. Ist Europa zu schwach geworden für die Schweiz?
Hans-Werner Sinn: Nein. Das liegt daran, dass das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank nun praktisch als sicher gelten kann …

… weil der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof das vorige Anleihenprogramm für rechtmäßig hält …
Banken gehen jetzt davon aus, dass sie ihre Staatsanleihen bald an die Notenbanken verkaufen können. Die Anleihen sind daher sehr liquide, so dass man es wagen kann, die bereits vorhandenen Geldmittel ins Ausland zu tragen, wo sie vor möglichen Turbulenzen im Euroraum geschützt sind. Zielort war vor allem die Schweiz. Solange die Schweiz die Bindung hielt, musste sie all das Geld gegen eigene Franken aufkaufen. Die Devisenbestände der Schweizer Notenbank hatten sich von Beginn der Krise bis Ende letzten Jahres fast verzehnfacht, auf bald 500 Mrd. Franken.

Wo kam das Geld her?
Von überall. Zuletzt gab es, wie die Target-Salden zeigen und das Ifo-Institut Anfang der Woche schon mitgeteilt hatte, eine massive Kapitalflucht aus Italien. Die ging vermutlich auch in die Schweiz, denn die Target-Überschüsse der anderen Euroländer sind nicht gestiegen.

Aber warum kommt der Ausstieg jetzt?
Die Entscheidung des Generalanwalts hat diese Entwicklung nun noch einmal dramatisch beschleunigt. Der Schweizer Nationalbank wurde die Sache zu heiß, denn sie fürchtete sich vor den Riesenverlusten, falls sie eines Tages doch aus der Bindung aussteigen müsste. Deshalb stieg sie lieber gleich aus.

Der Schritt kam sehr überraschend und hat einige Banken zum Wackeln gebracht. Hätte die Nationalbank nicht wenigstens bis zum Börsenschluss warten können?
Die Heftigkeit der Reaktion auf das Gutachten des Generalanwalts hat vermutlich auch die Nationalbank überrascht.

Trotzdem: Die Schweizer Nationalbank nimmt enorme Kosten für ihre Berghütten und Hotels in Kauf, die jetzt für Touristen teurer werden.
Die Alternative wären riesige Verluste auf die Devisenreserven, die die Schweiz hätten beschädigen können.