"Das erinnert mich an Weihnachten"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Focus, 18.11.2013, Ausgabe 47/2013, S. 26

Der Wirtschaftsexperte Hans-Werner Sinn warnt die künftige Regierung vor teuren Versprechen.

Herr Sinn, wie geht es der deutschen Wirtschaft?

Die Lage ist günstig wie seit 2010 nicht mehr. Zwar schwelt die Euro-Krise weiter, aber die deutsche Wirtschaft wächst trotzdem - und wir erwarten auch im kommenden Jahr ein kräftiges Wachstum. Die Aussichten für den Start in die neue Legislaturperiode sind also ideal. Das sehen die Unterhändler von CDU und SPD offenbar auch so - und planen fleißig neue Ausgaben. Die Koalitionsverhandlungen erinnern mich an Weihnachten: Jeder schreibt jetzt seinen Wunschzettel. Am Ende aber entscheidet das Christkind, welche Geschenke es bringt - und welche nicht. In einer Regierung kommt diese Aufgabe dem Finanzminister zu. Der wird darauf achten müssen, dass nicht alle Wünsche realisiert werden.

Besteht die Gefahr, dass die Wirtschaft überlastet wird?

Die Gefahr besteht. Vor allem die Diskussionen in der Rentenpolitik bereiten mir Sorge. Wenn Menschen mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können oder Erwerbsgeminderte höhere Bezüge erhalten, entstehen hohe Belastungen für die Rentenkasse. Diese Wahlgeschenke werden langfristig mehr kosten, als die Rente mit 67 einspart. Hier wird eine sinnvolle Reform zurückgedreht - und es ist nicht die einzige.

Welche sehen Sie noch?

Der Mindestlohn ist nichts anderes als eine Rückabwicklung der Agenda-Politik von Gerhard Schröder. Die Agenda 2010 war vor allem deshalb so erfolgreich, weil mit ihr der im Sozialsystem angelegte implizite Mindestlohn abgeschmolzen wurde. Dadurch kamen Löhne und Preise insgesamt ins Rutschen. Das hat Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich erhöht, ohne dass sich die Ungleichheit der Nettoeinkommen erhöht hat. Ohne diesen Effekt wäre das Jobwunder nicht möglich gewesen. Das alles wird nun wieder rückgängig gemacht. Der Sachverständigenrat kritisiert die Koalition zu Recht für ihre rückwärts gerichtete Wirtschaftspolitik. Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro würde nach unseren Schätzungen gut eine Million Arbeitsplätze vernichten.

Worauf sollte sich Schwarz-Rot stattdessen konzentrieren?

Die Regierung muss junge Menschen ermutigen, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen - zum Beispiel indem sie Eltern bei der Rente besser stellt. Zweitens müssen wir das Potenzial der heranwachsenden Generation besser nutzen. Deutschland braucht eine Bildungsinitiative, um schlummernde Begabungsreserven zu heben. Die Trennung von Schüler in verschiedene Schulformen muss auf ein späteres Alter verschoben werden. Außerdem brauchen wir eine neue Strategie gegen die Euro-Krise. Dieses ewige Geldausgeben darf nicht weitergehen. Und: Mit über 80 Prozent ist die Staatsschuldenquote entschieden zu hoch - zumal verdeckte Schulden durch Garantien und Rettungsschirme in dieser Zahl noch gar nicht berücksichtigt sind. Deutschland bleibt nur erfolgreich, wenn die Regierung künftig mehr spart.

INTERVIEW: ANDREAS NIESMANN