„Stimmung wesentlich besser als die Lage“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Nordbayerischer Kurier, 14.10.2014, Seite 6

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn kritisiert die EZB im Kurier-Interview scharf und warnt vor Steuererhöhungen

Geld zum Nulltarif, eine Zentralbank, die Schrottpapiere aufkauft: Kann das gut gehen? Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, einer der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland, gibt im Kurier-Interview Antworten.

Sie sind ein streitbarer Ökonom. Ein Volkswirt, der dem Volk dienen will?

Hans-Werner Sinn: So ist es. Das Sendungsbewusstsein braucht ein jeder Volkswirt. Wer es nicht hat, wird lieber Betriebswirt und dient dem Betrieb.

Was können Sie erreichen?

Sinn: Den öffentlichen Diskurs mit Argumenten bereichern und die Menschen für wichtige Themen sensibilisieren.

Was treibt Sie am meisten um?

Sinn: Die Politik der Europäischen Zentralbank. Unter dem Deckmantel der Geldpolitik betreibt die EZB zulasten ihrer Eigentümer, Bürger Europas, eine RettungspolitikzumSchutz überschuldeter Länder und der Investoren, die ihnen Geld geliehen haben.

Der Konjunkturmotor stottert. Warum?

Sinn: Erstens, weil uns die Sanktionen gegen Russland selbst treffen. Zweitens, weil wir durch die Aktionen der Staatengemeinschaft viel zu viel Geld in Südeuropa verbrennen, anstatt es bei uns zu investieren.

Kurze Wachstumsschwäche oder Trendwende?

Sinn: Soweit es um die Rückwirkungen der Sanktionen gegenüber Russland geht, handelt es sich hoffentlich nur um eine kurze Schwäche. Die Probleme, die mit dem Euro zu tun haben, werden länger anhalten.

Droht eine Rezession?

Sinn: Für Südeuropa ja, für Deutschland nicht.

Ist die Stimmung schlechter als die Lage?

Sinn: Die Stimmung ist wesentlich besser als die Lage in Europa.

Geld ist billig wie nie. Das müsste doch ein Turbo für die Konjunktur sein.

Sinn: Ist es ja auch. Aber es ist wie beim Kaffee und einer gesunden Ernährung. Letztere hilft langfristig, der Kaffee putscht nur auf. Geldpolitik ist nur Kaffee.

Wie lange kann die Zentralbank auf Nullzins-Kurs bleiben?

Sinn: Sehr lange, denn wenn die Zinsen steigen, sind viele Banken, Staaten und Firmen Südeuropas pleite. Auch die EZB müsste dann Verluste auf die von ihr gekauften Wertpapiere ausweisen, denn der Kurs dieser Wertpapiere fällt, wenn der Zins steigt.

Also eine gefährliche Geldpolitik?

Sinn: Die EZB betreibt schon lange keine wirkliche Geldpolitik mehr, sondern sie rettet die Staaten und Banken Südeuropas durch verbilligte Kredite und den Aufkauf von Wertpapieren.

Was kann schlimmstenfalls passieren?

Sinn: Im schlimmsten Szenarium übernimmt die EZB immer größere Teile der toxischen Anlagen südeuropäischer Herkunft. So viel halt, wie die Politik toleriert, und wenn sie ihre Kapazität erschöpft hat, treten die Länder Südeuropas aus dem Euro aus, um ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eine Währungsabwertung wieder herzustellen.

Müssen wir Angst um unser Geld haben?

Sinn: Ja, aber nicht wegen der Inflation, sondern weil Steuererhöhungen nötig sein werden, um die Verluste der EZB zu kompensieren.

Ihr wahrscheinlichstes Szenario für die nächsten drei bis fünf Jahre?

Sinn: Erstens: Weitere verbotene Rettungsaktionen der EZB und Zuspitzung des Konflikts mit dem deutschen Verfassungsgericht. Zweitens: Massiver Bruch der Schuldengrenzen, die Angela Merkel im Jahr 2012 in Form des Fiskalpaktes als Gegenleistung für den deutschen Beitrag zur Zinssenkung für die Südländer ausgehandelt hatte. Drittens: Wachsender Unmut über Deutschland, das zum Sündenbock gemacht wird. Viertens: Bruch der Schuldengrenzen der deutschen Verfassung durch die Bundesländer oder Verfassungsänderung. Fünftens: Eine Änderung der politischen Machtverhältnisse in Südeuropa und Frankreich, weil die Massenarbeitslosigkeit wachsenden Unwillen bei der Bevölkerung induziert. Sechstens: Erneute Gefährdung des Euro.