Sinn fordert Rückkehr zur Drachme: "Schäuble ist sehr zuvorkommend"

Interview mit Hans-Werner Sinn, www.n-tv.de, 20.02.2015

Die Eurozone solle Griechenland nur dann Geld leihen, wenn es aus der Währungsunion austritt, fordert Hans-Werner Sinn. Geld für den Verbleib in der Eurozone zu geben, sei kontraproduktiv. Mit n-tv.de sprach der Ifo-Chef über den "Grexit", Staatskonkurse und Bürgschaften in Milliardenhöhe. Interview von Jan Gänger.

n-tv.de: Wolfgang Schäuble lässt Yanis Varoufakis abblitzen – obwohl die griechische Seite offensichtlich Zugeständnisse gemacht hat. Ist Schäuble zu hart?

Hans-Werner Sinn: Nein, er ist sehr zuvorkommend, weil er Griechenland noch mehr Geld bewilligen möchte, obwohl das Land schon 263 Milliarden Euro oder 143 Prozent seines BIPs an öffentlichen Krediten bekommen hat, was in Relation zur damaligen Wirtschaftsleistung 28 Marshall-Plänen entspricht. Dass er daran die vereinbarten Reformen knüpft, ist ja wohl verständlich, ja es liegt eigentlich sogar im griechischen Interesse. Ich selbst würde dieses Geld nur unter der Bedingung geben, dass Griechenland aus dem Euro austritt, denn nur durch eine Abwertung kann das Land wieder wettbewerbsfähig werden und in Zukunft auf eigenen Beinen stehen. Geld für den Verbleib in der Eurozone zu geben, ist kontraproduktiv. Das hilft nicht, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, und es verschlimmert das Problem, weil es die nötigen Anpassungen der Wirtschaft verhindert.

Yanis Varoufakis ist das neue Gesicht der griechischen Krise. Was halten Sie von ihm?

Er ist ein guter Ökonom und Spieltheoretiker. Er weiß und hat öffentlich erklärt, dass der bisherige Kurs nicht funktioniert hat, denn obwohl, oder besser, weil sich der Bestand der Hilfskredite in den letzten fünf Jahren verfünffacht hat, hat sich die Arbeitslosigkeit verdoppelt. Ich vermute, er pokert so hoch, weil er die Arbeitslosigkeit entweder mit ganz viel Geld überkleistern oder aus dem Euro raus will. Wobei er Deutschland dann den Schwarzen Peter zuschieben möchte. Ohne den Schwarzen Peter jemand anderem zuzuschieben, kann er den Austritt seiner Bevölkerung nicht schmackhaft machen.

Schäuble hat gesagt: "Am 28. Februar 24 Uhr is over." Denn das läuft das gegenwärtige Hilfsprogramm aus. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, denn er hat es ja in der Hand. Ohne seine Zustimmung passiert rein gar nichts, denn Deutschland hat die Sperrminorität im Rettungsmechanismus ESM.

Wann geht Griechenland das Geld aus? Die griechische Regierung ist offenbar der Meinung, sie könne auch ohne Anschluss-Programm bis zum Sommer durchhalten...

Weder kann sie durchhalten, noch kann sie das wirklich meinen. Varoufakis hat in einem BBC-Interview erklärt, sein Land sei bereits insolvent. Deshalb finden ja derzeit die Konkursverhandlungen statt. Das Land wird nur noch mit Notfall-Krediten der anderen Euro-Zentralbanken über Wasser gehalten. Wäre das Land auf private Geldgeber angewiesen, wäre es schon 2008, spätestens 2009 bankrott gewesen, denn seitdem wird es mit der Druckerpresse und durch die Rettungsschirme ernährt.

Die EZB hält die griechischen Banken per ELA-Notkrediten über Wasser. Wie lange geht das noch gut?

Es geht schon jetzt nicht mehr gut. Für die ELA-Kredite soll, so ist die Rechtskonstruktion, die griechische Notenbank selbst haften. Sie kann aber nur bis zu 42 Milliarden Euro haften. Da bereits 68,3 Milliarden Euro an ELA-Krediten gewährt wurden, sind wir bereits in der Phase der Konkursverschleppung. Die anderen Zentralbanken geben Griechenland Kredit, damit die restlichen privaten Kreditgeber sowie reiche Griechen sich noch aus dem Staube machen können. Das ist wie bei einem Privatkonkurs. Zum Schluss sucht man noch den Dummen, der frisches Geld reinsteckt.

Sie fordern, Griechenland solle den Währungsraum verlassen. Ist es angesichts der Ansteckungs-Risiken nicht besser, Griechenland im Euroraum zu behalten?

Die Ansteckungsrisiken über die Kapitalmärkte sind gering, weil die privaten Gläubiger bereits in den letzten fünf Jahren weitgehend durch öffentliche Gläubiger ersetzt wurden. Die Spreads gehen auch nur für griechische Papier hoch, nicht für die anderen. Die politischen Ansteckungsgefahren sind indes erheblich. Wenn wir auf Varoufakis und Tsipras eingehen, dann will Pablo Iglesias mit seiner neuen Partei Podemos, die in Spanien eine ähnliche Rolle spielt wie Syriza in Griechenland, genau das Gleiche, und schließlich wollen es dann alle anderen auch. Dann ist die Sache aber nicht mehr bezahlbar, denn immerhin wohnen 40 Prozent der Eurobevölkerung in Krisenländern, die öffentliche Hilfen von den Rettungsschirmen oder der EZB brauchten.

Aber hätte ein "Grexit" nicht fürchterliche Folgen für Griechenland?

Nein, im Gegenteil, das ist die einzige Methode, die Wirtschaft wieder auf Schwung zu bringen und die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Griechenland ist durch die inflationäre Kreditblase, die der Euro aus gelöst hatte, zu teuer geworden und muss nun von seinen hohen Preisen runter. Das geht im Euro praktisch nicht. Der einzige Weg ist die Rückkehr zur Drachme und eine Abwertung. Nach einer Abwertung würden die Leute die Nahrungsmittel wieder bei den eigenen Bauern statt im Ausland kaufen, die Touristen kämen aus der Türkei zurück, und die reichen Griechen würden ihr im Ausland gebunkertes Geld zurückbringen und Immobilien kaufen, was einen Bauboom auslösen würde. Praktisch alle Staatskonkurse der letzten Jahrzehnte gingen mit einer Währungsabwertung einher, die die Zahlungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Länder verbessert hat. Wir haben am Ifo viele Dutzende solche Staatskonkurse untersucht. Man geht durch eine schwierige Phase von ein, zwei Jahren, doch dann zieht die Wirtschaft so richtig an.

Deutschland bürgt für Hilfen im Volumen von rund 80 Millionen Euro. Ist dieses Geld bei einem "Grexit" nicht weg?

Ein Teil des Geldes ist jetzt schon weg, egal ob Griechenland im Euro bleibt oder austritt. Die Frage ist nur, wie und wann wir den Verlust verbuchen. Ohne Austritt wird der Verlust im Laufe der Zeit immer größer, denn dann wird man immer wieder neue Kredite geben und erlassen müssen.