„Das Geld ist zum Fenster hinausgeschmissen“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Passauer Neue Presse, 18.07.2015, S. 2.

Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, hält ein drittes Hilfspaket für Griechenland für grundfalsch und warnt: „Auch andere Länder werden an die Tür klopfen.“

Der Bundestag gibt mit großer Mehrheit grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland über ein drittes Rettungspaket. Wie hätten Sie abgestimmt?

Wenn es eine Vertrauensabstimmung für Frau Merkel oder Herrn Schäuble gewesen wäre, hätte ich mit Ja gestimmt. Der Bundestag hat aber nur über ein weiteres Hilfspaket abgestimmt, und das ist völlig wirkungslos. Die 2000 Euro, die Deutschland jedem griechischen Bürger zahlt, sind zum Fenster hinausgeschmissen. Deshalb würde ich mit Nein stimmen. Der Bundesfinanzminister ist selbst auch nicht davon überzeugt. Er ist allerdings loyal genug, die Verhandlungen ernsthaft mit Griechenland zu führen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) spricht von einem letzten Versuch. Ist das Paket geeignet, Griechenland aus der Krise zu führen?

In den vergangenen Monaten habe ich x-mal von angeblich letzten Versuchen gehört. Ich kann das nicht mehr hören. Natürlich werden die weiteren Hilfen in Höhe von 86 Milliarden Euro den Lebensstandard der Griechen erst einmal sichern. Aber die Krise wird nur aufgeschoben. Wettbewerbsfähigkeit erreicht man so nicht. Der Lebensstandard der Griechen ist im Vergleich zur Produktivität ihres Landes total überzogen. Deswegen ist das Land zu teuer. Die neuen Hilfen perpetuieren diesen Zustand und verlangen anschließend ein viertes Hilfspaket.

Die Bundesregierung hat bis zuletzt versichert, dass den deutschen Steuerzahlern erst einmal keine größeren Belastungen drohen. Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt, ehrlich über Kosten zu reden?

Niemand, den man halbwegs ernstnehmen kann, würde noch behaupten, dass es keine finanziellen Belastungen für den Bundeshaushalt und die deutschen Steuerzahler geben wird. Jeder weiß: Die Milliardenhilfen an Griechenland kommen nicht mehr zurück.

Ihr Kollege, Professor Clemens Fuest, spricht sich dafür aus, Vorsorge für die drohenden Belastungen zu treffen und den Solidaritätszuschlag von 5,5 auf 8 Prozent anzuheben. Ein sinnvoller Schritt?

Ja, das wäre ein sinnvoller Weg. Wir sollten den Solidaritätszuschlag von 5,5 auf 8 oder besser 8,5 Prozent erhöhen, um damit Staatsschulden zu tilgen. Das würde das Mehr an Schulden, die der Rettungsfonds auf deutsche Rechnung macht, wieder ausgleichen. Alles andere wäre eine Mogelpackung. Die Belastungen würden sonst auf die künftigen Generationen verschoben.

Droht jetzt eine Ansteckungsgefahr auch auf andere Krisenländer? Und kommt bald schon der nächste Kandidat für solch ein Rettungspaket?

Das könnte sein. Wir sind auf dem Weg in eine Transferunion, in der die Schulden der einzelnen Mitglieder sozialisiert werden. Es wird jetzt nicht bei Griechenland bleiben. Auch andere Länder werden an die Tür klopfen und einen Schuldenerlass fordern. Die Gemeinschaft hat die Schulden der Krisenländer übernommen. Dieser Vorgang ist illegal und widerspricht dem geltenden Recht. Das ist ein Verstoß gegen Paragraf 125 des Vertrages für die Arbeitsweise der Europäischen Union. Wenn dieser Weg so politisch gewollt ist, müsste der Europäische Vertrag geändert werden.

Bundeskanzlerin Merkel hat dem Grexit eine Absage erteilt. Halten Sie ihn weiter für den besten Weg?

Ein Grexit auf Zeit mit der Rückkehroption wäre für Griechenland der beste Weg. Es wäre die Chance für das Land, durch eine Währungsabwertung wieder wettbewerbsfähig zu werden. Nach zehn Jahren könnte Griechenland wieder zurück, wenn sich der Wechselkurs und die Wirtschaft stabilisiert haben und wenn das Land die für eine Euro-Mitgliedschaft nötigen Reformen gemacht hat.

Kritiker der Fortsetzung der Milliarden-Hilfe sprechen von Insolvenzverschleppung.

Im Maastrichter Vertrag ist klar geregelt, dass Staaten in die Insolvenz gehen, wenn sie sich überschuldet haben und nicht zurückzahlen können. Insolvenz heißt, dass die Gläubiger ihr Geld verlieren und nicht durch die Steuerzahler anderer Staaten ausbezahlt werden. Leider hat man es versäumt, eine konkrete Insolvenzordnung für die Umsetzung dieser Regel zu schaffen. Vor allem die Europäische Zentralbank betreibt bei Griechenland seit Januar Konkursverschleppung. Die EZB hat dafür gesorgt, dass die bankrotten griechischen Banken über Wasser gehalten werden, und ist den Verhandlungsführern der Troika in den Rücken gefallen.

Interview: Andreas Herholz