ifo Standpunkt Nr. 101: Abwrackprämie für das Konjunkturpaket

Die von der Bundesregierung beschlossene Abwrackprämie für Altautos stiftet keinen volkswirtschaftlichen Nutzen. Und sie ist ökologischer Unfug.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 03. März 2009

John Maynard Keynes hat seine Zuhörer einmal heftig verulkt. Der Staat, so empfahl der berühmte Ökonom, solle in Zeiten der Flaute am besten Geldscheine in Flaschen stecken, sie in einem Bergwerk vergraben, das Ganze mit Müll verfüllen und es der Privatwirtschaft überlassen, sie wieder auszugraben. Dann käme die lahmende Wirtschaft wieder in Schwung.

Nur wenige haben diesen ironischen Rat so ernst genommen wie die deutsche Bundesregierung mit ihrer Abwrackprämie. Menschen 2.500 Euro dafür zu bezahlen, dass sie ein altes Auto vernichten, damit sie anschließend ein neues kaufen, ist so ziemlich dasselbe wie das Verbuddeln und Wiederausgraben der Keynes’schen Flaschen. Neun Jahre alte Autos deutscher Premium-Hersteller sind noch lange keine Schrottkisten. Ein unfallfreier BMW oder Mercedes wird auch schon mal 20 Jahre gefahren, ein VW Golf schafft es häufig bis zum Alter von 15 Jahren. Die Motoren der Premium-Hersteller halten 300.000 Kilometer und mehr, sind aber bei einer durchschnittlichen Jahresleistung von 20.000 Kilometern nach neun Jahren erst 180.000 Kilometer gelaufen. Zudem sind die für die Karosserie verwendeten Bleche seit den Achtzigerjahren verzinkt, so dass der Rost kein Thema mehr ist. Manche Hersteller geben sogar eine 30-jährige Durchrostungsgarantie. Kurzum: Neun Jahre alte Autos zu verschrotten, macht ökonomisch keinerlei Sinn.

Seine Gebrauchtwagen verkaufte Deutschland bislang im großen Stil nach Afrika, Osteuropa und Zentralasien, wo es von alten deutschen Autos nur so wimmelt. Dank ihrer robusten Bauart bewähren sich die deutschen Karossen auf den dortigen Buckelpisten bestens. Im Jahr 2006 exportierte Deutschland 517.000 Gebrauchtautos und erlöste dafür etwa sechs Milliarden Euro. Bis zu 1,5 Milliarden Euro will der Staat nun dafür zahlen, einen Teil dieses Exports auf Schrottplätze umzulenken. Welch abenteuerliche Wegwerflogik!

Aber sprechen nicht wenigstens ökologische Argumente für die Abwrackprämie der Regierung? Die "Süddeutsche Zeitung" meldete jüngst in großer Aufmachung auf ihrer Titelseite, Experten hätten errechnet, die Abwrackprämie diene dem Umweltschutz, weil dadurch der Ersatz alter Spritschlucker durch moderne Autos mit einem niedrigeren Verbrauch gefördert wird. Das gelte selbst, wenn man berücksichtige, dass die Produktion eines Golf 25.000 Kilowattstunden und die Produktion eines Oberklassewagens 50.000 Kilowattstunden an Energie koste.

Rechnen wir einmal nach. Ein neuer Golf VI mit einem Benzinmotor mit 1,4 Litern Hubraum verbraucht 6,4 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Bei einer Jahresfahrleistung von 12.000 Kilometern sind das 768 Liter Benzin pro Jahr, was bedeutet, dass 1.790 Kilogramm CO2 durch den Auspuff strömen. Auf der Basis der 25.000 Kilowattstunden Energie, die für die Produktion verwendet werden, kommt man bei einer plausiblen Aufteilung in Strom und Brennstoffe (50 Prozent Strom aus dem deutschen Erzeugungsmix mit 40 Prozent Wirkungsgrad sowie 50 Prozent Brennstoffe, die mit Verlusten von fünf Prozent bereitgestellt werden) zu einem CO2-Ausstoß für die Produktion von 10.790 Kilogramm oder 1.199 Kilogramm pro Jahr – vorausgesetzt der Neuwagen läuft auch neun Jahre.

Umgerechnet auf das einzelne Lebensjahr werden damit durch die Produktion 67 Prozent dessen an CO2 ausgestoßen, was der neue Motor im laufenden Verkehr emittiert. Ersetzt man nun ein altes Auto durch den neuen Golf, so hilft das der Umwelt genau dann, wenn der Spritverbrauch des alten Autos um mehr als 67 Prozent über dem Spritverbrauch des neuen Golf lag. Das mag im Einzelfall so sein, wenn der neue Golf ein Sprit schluckendes Modell der Oberklasse ersetzt. Beim Ersatz eines Autos ähnlicher Größenordnung kann die Einsparung indes nicht zustande kommen, denn nirgends gab und gibt es Einspareffekte für den Spritverbrauch in der notwendigen Größenordnung.

Beim Golf selbst gab es überhaupt keine Einsparung. Der vor zehn Jahren produzierte Golf IV mit 1,4 Litern Hubraum verbrauchte die gleichen 6,4 Liter Benzin je 100 Kilometer wie ein nagelneuer Golf VI mit demselben Hubraum. Der Effizienzgewinn des Motors ist nämlich in ein höheres Gewicht statt einen niedrigeren Verbrauch umgesetzt worden. Der Ersatz des alten Golf durch einen neuen bedeutet folglich einen Zuwachs des CO2-Ausstoßes um etwa zwei Drittel.

Man kann die Rechnung fast nach Belieben variieren, und doch kommt nichts anderes heraus. Selbst wenn die jährliche Fahrleistung mit 20.000 Kilometern und die Lebensdauer des Neuwagens mit 15 Jahren angesetzt wird, liegt der kritische Prozentsatz für den Mehrverbrauch des Altwagens gegenüber dem Golf VI immer noch bei 24 Prozent. Bei Fahrzeugen gleicher Klasse dürfte auch dieser Prozentsatz in den seltensten Fällen erreicht werden. Noch viel deutlicher wird die Rechnung bei den Oberklassewagen. Hier lohnt sich der Ersatz eines alten durch ein neues Auto erst recht nicht, weil der Energieverbrauch bei der Produktion im Verhältnis zum Spritverbrauch dort eher noch höher ist als bei kleinen Fahrzeugen.

Wie man es auch dreht und wendet: Bei allen auch nur halbwegs plausiblen Konstellationen steigt der CO2-Ausstoß, wenn man ein altes Auto abwrackt und durch ein neues einer ähnlichen Größenklasse ersetzt. Auch unter Umweltgesichtspunkten sollten wir also nicht unsere Altautos abwracken – sondern den entsprechenden Teil des Konjunkturpakets.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Abenteuerliche Wegwerflogik“, WirtschaftsWoche, Nr. 6, 2. Februar 2009, S. 48.