ifo Standpunkt Nr. 121: Warum der Rettungsschirm reicht

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 16. Februar 2011

Für Brüssel ist die Lage klar: Der Rettungsschirm für überschuldete Eurostaaten ist zu klein. Nicht mehr als 250 Milliarden Euro stünden effektiv zur Verfügung, um Irland, Portugal und Spanien für die nächsten drei Jahre abzusichern. Das reiche nicht aus, den Refinanzierungsbedarf dieser Länder zu decken. Der Schirm müsse dringend vergrößert werden, um seinen Aufgaben nachkommen zu können. Stimmt diese Aussage? Rechnen wir nach.

Richtig ist, dass Deutschland und Frankreich, die beiden aus der Sicht der Ratingagenturen über Zweifel erhabenen Länder, im Rahmen der Luxemburger Zweckgesellschaft EFSF zusammen für bis zu 258,1 Milliarden Euro haften. Doch es haften auch Luxemburg, Finnland, Österreich und die Niederlande. Diese Länder verfügen ebenfalls über ein AAA-Rating. Geht man davon aus, dass neben Griechenland auch Irland, Portugal und Spanien als Kreditgeber ausfallen und die Anteile dieser Länder von den anderen Euroländern übernommen werden, so addieren sich die Haftungssummen aller AAA-gerateten Länder auf 315,4 Milliarden Euro. Nur wenn die unbewiesene und nicht plausible Behauptung stimmt, dass die Ratingagenturen verlangen, dass hiervon wiederum ein Sechstel abzuziehen ist, kommt man in etwa auf den angegebenen Betrag von 250 Milliarden Euro, genau 263 Milliarden Euro.

Die Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 250 Milliarden Euro und die Kreditfazilität der EU in Höhe von 60 Milliarden Euro, die im Mai 2010 beschlossen wurden, dürfen aber nicht einfach unter den Tisch fallen und eigentlich auch nicht der Umstand, dass die Europäische Zentralbank (EZB) laufend Staatspapiere der kritischen Länder kauft, bislang schon für über 76 Milliarden Euro. Selbst wenn man die Hilfen der EZB nicht mitrechnet, das angeblich verlangte Sechstel abzieht und als Hilfssumme des IWF nur 161 Mrd. Euro ansetzt, was dem AAA-gesicherten Anteil von 323 Milliarden an der nominellen EU-Rettungssumme von 500 Milliarden entspricht, ergeben sich mindestens 484 Milliarden Euro für Hilfskredite. Das ist mehr als ausreichend.

Nach den Informationen über den Refinanzierungsbedarf von Portugal, Irland und Spanien, die von den nationalen Schuldenverwaltungen veröffentlicht wurden, benötigen die drei Länder in den kommenden drei Jahren nämlich nur 159 Milliarden, 75 Milliarden und 76 Milliarden Euro, in der Summe also 310 Milliarden Euro. Das sind knapp zwei Drittel der verfügbaren Finanzmittel.

Nun wollen die drei Länder vielleicht noch nicht sparen, obwohl sie es angesichts ihrer mittelfristig fallenden Wirtschaftskraft eigentlich müssten. Erlauben wir ihnen also gemäß Stabilitäts- und Wachstumspakt 3 Prozent des heutigen BIPs an zusätzlicher Kreditaufnahme, das wären 124 Milliarden Euro. Von den 484 Milliarden Euro im Topf für Hilfskredite werden dann 434 Milliarden Euro benötigt, aber noch immer verbleiben 50 Milliarden Euro für andere Zwecke. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Mittel nicht ausreichen, eine größere Liquiditätskrise mit Spanien zu meistern.

Mit der Forderung nach Aufstockung muss etwas anderes bezweckt sein als eine bloße Liquiditätshilfe für bedrängte Staaten. Offenbar soll die Staatengemeinschaft mit ihren Krediten auch Teile der noch gar nicht fälligen Altschulden übernehmen. Eine in Brüssel vertretene Idee ist, dass die Luxemburger Zweckgesellschaft die Altschulden aufkaufen soll, ähnlich wie es die EZB jetzt schon macht. Noch attraktiver erscheint es den Schuldenländern freilich, wenn sie selbst zusätzliche Kredite der Zweckgesellschaft erhalten, damit sie ihre Altschulden zurückkaufen können. Die Gelegenheit scheint ja günstig zu sein, denn griechische und irische Papiere mit zehnjähriger Laufzeit, die vor einigen Jahren ausgegeben wurden, stehen heute bei etwa 70 Prozent ihres Nennwertes oder gar weniger. Man hätte eine Art Haircut mit Beteiligung privater Gläubiger, so heißt es sogar im Umfeld der Bundesregierung, ohne dass jemandem wehgetan wird. Das stimmt freilich nicht, denn die Steuerzahler der Länder mit guter Bonität würden nun sogar für Altschulden der betroffenen Länder haften. Werden die als Ersatz gewährten Kredite nicht bedient, müssen die Steuerzahler die Forderungen der Zweckgesellschaftsgläubiger erfüllen.

Deutschland sollte diesen Ansatz unter keinen Umständen akzeptieren. Er läuft auf die Vergemeinschaftung der Schulden durch Euro-Bonds hinaus – was die Bundesregierung bislang zu Recht strikt abgelehnt hat. Mit falschen Zahlen und neuer Semantik sollen Euro-Bonds herbeigetrickst werden.

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass Länder ihre eigenen Schulden zu den günstigen Bedingungen, die die Unsicherheit auf den Märkten erzeugt hat, zurückkaufen. Nur sollten sie dafür keine Kredite der Staatengemeinschaft erhalten. Sie könnten sich stattdessen der im Dezember beschlossenen Anleihen mit Collective Action Clauses bedienen. Die Staatengemeinschaft könnte diese Anleihen attraktiv machen, indem sie sie mit dem Recht ausstattet, im Falle von Zahlungsproblemen nach einem Haircut in partiell von der Staatengemeinschaft besicherte Ersatzanleihen umgewandelt zu werden. Da die Anleger dann nur ein begrenztes Risiko tragen, würden sie sich mit einem begrenzten Zinsaufschlag im Vergleich zu Deutschland begnügen und bedrängten Ländern neue Kredite gewähren, mit denen sich Altschulden zurückkaufen ließen.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Revidierte Fassung. Zuerst erschienen unter dem Titel „Falsche Zahlen, neue Semantik“, WirtschaftsWoche, Nr. 4, 24. Januar 2011, S. 38.