ifo Standpunkt Nr. 127: Warum man Schulden nicht vergemeinschaften darf

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 22. September 2011

Frau Merkel hat dem Drängen der Südländer Stand gehalten. Es wird keine Eurobonds geben. Für die Märkte ist das enttäuschend, aber einen anderen Weg, als jetzt beharrlich auf eine Phase der Schuldendisziplin zu drängen und die Periode der lockeren Budgetbeschränkungen zu beenden, gibt es nicht. Die Anleger bekommen schon genug Geschenke. Die Beschlüsse vom 21. Juli, nach denen der Luxemburger Fonds Altschulden zurückkaufen darf, sind bis auf die Begrenzung des Fondsvolumens dasselbe wie Eurobonds. Und die EZB darf ihre Bail-out-Politik ja ebenfalls munter fortsetzen.

Die Südländer drängen dennoch mit Macht auf den vollen Umstieg in die Eurobonds, um die Zinsaufschläge im Vergleich zu Deutschland wegzubringen, die die Märkte ihnen abverlangen. Das ist verständlich, war doch die Hoffnung auf eine Zinskonvergenz seinerzeit ein zentraler Grund für den Eurobeitritt. Für ein gutes Jahrzehnt, von 1997 bis 2007, ging die Hoffnung auch in Erfüllung.

Für den italienischen Staat bedeutete die Zinskonvergenz mittelfristig eine Entlastung um bis zu sechs Prozent des BIP. Das wäre genug gewesen, um in etwa eineinhalb Jahrzehnten die gesamte italienische Staatsschuld zurück zu zahlen. Italien zog es aber vor, den Zinsvorteil zu verfrühstücken. Die Schuldenquote Italiens ist heute so hoch wie beim Eintritt in den Euro-Verbund Mitte der 1990ger Jahre: etwa 120% des BIP.

Jetzt, da die Zinsen sich wieder ausspreizen, ist die Not groß, und man ruft nach Eurobonds. Wenn andere Länder die Rückzahlung garantieren, kommt man wieder an die niedrigen Zinsen heran, so hofft man. Aber wer soll garantieren? Die Schuldenquoten Frankreichs und Deutschlands liegen deutlich über 80 Prozent. Das ist nicht sonderlich weit von Italien entfernt. Das Zusammenwerfen der Schulden macht die Lasten nicht kleiner. Jeder muss seine Schulden selbst bedienen. Daran führt kein Weg vorbei.

Im Übrigen ist die Aufregung über die Zinsen reichlich übertrieben. Die Zinsen für Länder wie Italien und Spanien sind heute nur halb so groß wie 1995, vor der Festlegung der Umrechnungskurse im Euroraum, und auch die Zinsspreizung im Vergleich zu Deutschland ist heute um etwa ein Drittel kleiner als damals. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Märkte dysfunktional sind und die Bonitätsunterschiede der Länder übertreiben. Die Zinsspreizung ist erforderlich, um die Kapitalbewegungen im Euro-Raum in Schach zu halten. Vor dem Euro waren die Kapitalströme durch die Wechselkursunsicherheit begrenzt worden. Das hatte Europa allzu große außenwirtschaftliche Ungleichgewichte erspart. Nun, da das Wechselkursrisiko weggefallen ist, sind Zinsspreizungen nach der Bonität der Schuldner der einzige Schutz gegenüber exzessiven Kapitalbewegungen und den daraus folgenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten. Werden die Anleger von der Staatengemeinschaft grenzenlos geschützt, ohne eine Selbstbeteiligung fürchten zu müssen, fließt das Kapital weiterhin ungehindert von der einen Ecke des Euroraums in die andere und verlängert die Ungleichgewichte.

Italien hat lange Jahre die Schuldengrenzen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und des Maastrichter Vertrages missachtet. Erst als die Zinsen kürzlich ein klein wenig zu steigen begannen, hat die Regierung mit Zustimmung aller Parteien sofort ein Sparprogramm durchgesetzt. Nur die Märkte nimmt man ernst. Politische Schuldenschranken werden nicht beachtet. Kommen die Eurobonds, ist die disziplinierende Funktion der Märkte dahin.

In abgeschwächter Form gilt dies auch für die Rettungsaktionen der EU und die Interventionen der Notenbank. Sie waren in der Rezession 2008/2009 vertretbar, haben aber mittlerweile kontraproduktive Züge angenommen, weil sie die Kontrollfunktion der Märkte unterlaufen. Indem öffentlicher Kredit an die Stelle des versiegenden privaten Kredits gesetzt wird, werden die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte des Euroraums perpetuiert. Die überteuerten Länder der südlichen Peripherie Europas zeigen selbst heute, im vierten Jahre der Krise, noch keine Anzeichen, dass sie einen Prozess der realen Abwertung im Euroraum begonnen hätten. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dass sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und die Abhängigkeit von importiertem Kredit verringern.

Die Rettungsaktionen verlängern die Krise, weil sie die Asset-Preise auf einem Niveau oberhalb des Marktgleichgewichts zu stützen versuchen. So entsteht ein einseitiges Abwärtsrisiko, das nur durch die Tiefe der Taschen der Hilfsfonds begrenzt wird. Das erinnert sehr an die vergeblichen Bemühungen der Notenbanken in der Zeit der Festkursregime, Wechselkurse oberhalb des Marktgleichgewichts zu stabilisieren. Das Ergebnis dieser Bemühungen war damals wie heute eine Verschärfung der Spannungen auf den Märkten. Es wird Zeit, dass Europa sich den Realitäten stellt und mit den schmerzlichen realwirtschaftlichen Anpassungsprozessen beginnt, die nötig sind, um den Euro-Raum wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die süße Droge der Eurobonds vernebelt nur die Erkenntnis.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Die süße Droge Eurobonds“, Handelsblatt, 22. August 2011, S. 56; sowie unter „The Trouble with Eurobonds“ bei Project Syndicate.