ifo Standpunkt Nr. 129: Die Drohung mit der Druckerpresse

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 31. Oktober 2011

Nicolas Sarkozy kriegt seine Banklizenz für den EFSF zum Glück nicht. Mit neu gedrucktem Geld darf der Luxemburger Rettungsfonds die Staatspapiere der gefährdeten Länder nicht kaufen. Das darf aber die EZB ohnehin weiterhin machen. Darauf wies Frankreichs Präsident nach seiner Niederlage trotzig hin, und er hatte sich in den Vorverhandlungen zum Summit vom 26. Oktober sogar die Unterstützung für einen Appell an die EZB holen wollen, ihre Aufkaufpolitik fortzusetzen. Damit hat er nun freilich den Deutschen Bundestag gegen sich aufgebracht, denn nach dessen Interpretation lag der Sinn und Zweck des Rettungsschirms vor allem darin, die fiskalischen Rettungsaktionen aus der EZB herauszulösen. Schließlich hatte auch EZB-Chef Jean-Claude Trichet die Beendigung dieser Aktionen in Aussicht gestellt, als er für den europäischen Rettungsschirm warb.

Die Abgeordneten wurmt schon lange, dass Deutschland bei der Entscheidung über die Aufkäufe im Zentralbankrat, wo es nicht mehr zu sagen hat als Malta und Zypern, andauernd minorisiert wird und dass die beiden deutschen Repräsentanten im Zentralbankrat, Axel Weber und Jürgen Stark, deswegen zurückgetreten sind. Sie wissen, dass sich Bundespräsident Christian Wulff genötigt sah, die EZB zu ermahnen, den Maastrichter Vertrag nicht länger zu umgehen. Sarkozys Verlangen war deshalb für sie Anlass genug, bei ihrem Beschluss über die Hebelung des Rettungsschirms formell zu erklären, dass sie ihrerseits von einem Ende der Politik des Kaufs von Staatsanleihen durch die EZB ausgehen. Sarkozy muss gekocht haben, als er davon hörte. Ob sich der Zentralbankrat freilich von der Erklärung des Bundestages beeindrucken lässt, muss sich erst noch erweisen. Schließlich ist der Rat unabhängig – nicht zuletzt, weil der Bundestag selbst das seinerzeit verlangt hatte. Der Bundestag kann zwar drohen, den Einsatz der Rettungsmittel des EFSF in Zukunft bei weiteren Beschlüssen zu blockieren, sollte die EZB ihr Aufkaufprogramm fortsetzen, doch letztlich sitzt der Zentralbankrat am längeren Hebel. Er ist der Herr über das Geld im Euro-Raum, und er kann jederzeit seine eigene Rettungsmaschinerie anwerfen, wenn ihm die Rettungsaktionen der Staatengemeinschaft nicht reichen. Er bestimmt, wer wann und wo gerettet wird, nicht der Bundestag und auch keine andere Instanz in Europa.

Die Parlamente können bestenfalls über die Art der Rettung mitbestimmen, indem sie einen formellen Rettungsschirm als Alternative zur EZB-Rettung anbieten. Dann müssen sie aber schon froh sein, wenn dieser Schirm angenommen wird, und damit das so ist, müssen sie den Schirm attraktiv machen und können nicht allzu viele Auflagen mit ihm verbinden. Als Irland sich vor einem Jahr weigerte, unter den Rettungsschirm zu gehen, und fast schon von Trichet dazu geprügelt werden musste, wunderte man sich. Wollte das Land etwa untergehen, statt gerettet zu werden? Das wollte es natürlich nicht. Die Lösung des Rätsels war, dass Irland für nur ein Prozent Zinsen von der EZB die Erlaubnis erhalten hatte, die Druckerpresse auf hohen Touren laufen zu lassen und sich bereits damit hatte retten können. Das war attraktiver, als unter den offiziellen Rettungsschirm der Staatengemeinschaft zu schlüpfen, wo sechs Prozent Zinsen zu zahlen waren. Und so war es auch bei Griechenland, Portugal, Spanien und neuerdings auch Italien. All diese Länder haben sich mit der Druckerpresse gerettet. Solange die EZB bereit ist, das Spiel mitzumachen, gibt es für diese Länder wenig Veranlassung, um die teure offizielle Rettung nachzusuchen oder sich gar den Bedingungen der Retter zu unterwerfen.

In der Tat hat die EZB viel mehr Hilfen organisiert, als der Öffentlichkeit bewusst ist. Sie hat zugelassen, das Griechenland und Portugal ihre Leistungsbilanzdefizite seit dem Ausbruch der Krise vor vier Jahren vollkommen mit der Druckerpresse finanziert haben. In Spanien tolerierte sie, dass etwa ein Viertel des Leistungsbilanzdefizits mit neu gedrucktem Geld finanziert wurde, und im Falle Irlands und Italiens ließ sie zu, dass diese Länder eine riesige Kapitalflucht mit der Druckerpresse kompensierten. Weil die Druckerpressen in der Peripherie noch immer auf Hochtouren laufen, musste die Bundesbank ihre eigene Presse in eine Schreddermaschine verwandeln, um das viele Geld, das aus dem Süden zuströmte, wieder zu vernichten. Seit September verleiht die Bundesbank netto kein Geld mehr an das deutsche Bankensystem, sondern borgt es sich von ihm. Netto, nach Abzug der Einlagefazilität, ist der Refinanzierungskredit der Banken bei der Bundesbank heute negativ. Dieses Spiel hat der Bundestag nicht in der Hand, und insofern ist Sarkozy’s trotzige Erklärung mehr als eine leere Drohung. Der vom Club Med dominierte Zentralbankrat ist die wahre Wirtschaftsregierung des Euroraums. Solange er seine Macht behält, kann er die Parlamente Europas mit der Druckerpresse bedrohen und umfangreiche Rettungsmaßnahmen bis hin zur Transferunion erzwingen.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Die Drohung mit der Druckerpresse“, WirtschaftsWoche, Nr. 44, 31. Oktober 2011, S. 45.