ifo Standpunkt Nr. 162: Europäisches Schattenbudget

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 20. Februar 2015

Nicht weniger als 315 Milliarden Euro will EU-Präsident Juncker bis 2017 für Investitionen mobilisieren, das Doppelte des EU-Haushalts. Ein gewaltiges kreditfinanziertes Konjunkturprogramm soll Europa beleben.

Das Geld soll durch den sogenannten European Fund for Strategic Investment (EFSI) eingesammelt werden, der mit Garantien von der EU-Kommission in Höhe von 16 Milliarden Euro und Kapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Höhe von fünf Milliarden Euro ausgestattet wird, das durch die Höherbewertung vorhandener Aktiva zustande kommt. Es ist geplant, dass der EFSI durch einen Faktor von 15 auf ein Investitionsvolumen von 315 Milliarden Euro gehebelt wird. Viele fragten sich, wie eine solch wundersame Geldvermehrung aus dem Nichts zustande kommen soll.

Die Antwort hat die Europäische Zentralbank (EZB) vor vierzehn Tagen mit ihrem QE-Programm gegeben, also der Ankündigung, für 1.100 Milliarden Euro Anleihen vornehmlich von Staaten und staatlichen Instanzen zu kaufen. Zwölf Prozent dieses Programms, also 132 Milliarden Euro, sollen für den Erwerb von Anleihen europäischer Institutionen aufgewendet werden, für die alle Notenbanken gemeinschaftlich haften. Das meiste von diesem Geld wird wohl zur EIB fließen, um die zuvor genannte Hebelwirkung in Gang zu setzen. Nicht private Anleger, sondern Steuerzahler sollen als stille Eigentümer der Notenbanken in gemeinschaftlicher Haftung einen Gutteil der Risiken tragen. Kanzlerin Merkels kategorisches Nein zu Eurobonds wird damit nur noch in dem Sinne respektiert, dass man eine andere Semantik gewählt hat.

Echtes eigenes Geld stellt die Staatengemeinschaft für den EFSI nicht bereit, wohl aber explizite und implizite Garantien für die privaten Anleger.

Die Investitionen selbst wird die EU-Kommission aus den Anträgen der Mitgliedsländer der EU zusammenstellen, die bereits vorgelegt wurden. Das ifo Institut hat eine Auswertung der noch unvollständigen Antragsunterlagen vorgenommen. Danach hatten bis zum 4. Dezember 2014 alle 28 Länder bereits potenzielle Projekte benannt. Das Volumen der etwa 2.000 angemeldeten Projekte lag bei 1,3 Billionen Euro, wovon rund 500 Milliarden Euro auf den Zeitraum 2015 bis 2017 entfallen. Davon betrafen schätzungsweise 53 Prozent öffentliche Projekte, 15 Prozent Public-Private Partnerships (PPP) und 21 Prozent private Projekte. Nicht einzuordnen war etwas mehr als ein Zehntel der Projekte. Die allerwenigsten Projekte sind grenzüberschreitend. Meistens handelte es sich um Projekte, die in die Verantwortung der Nationalstaaten fallen.

Ich vermute nicht, dass das Programm ein konjunktureller Flop wird. Immerhin sind die 315 Milliarden Euro, die in einem Dreijahreszeitraum avisiert wurden, 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU. Dies wäre trotz der Streckung über drei Jahre in der Tat ein beachtliches Konjunkturprojekt.

Mein Problem ist eher, dass hier ein gewaltiger schuldenfinanzierter Schattenhaushalt aufgebaut wird, der neben dem EU-Haushalt und den nationalen Haushalten herläuft und die Steuerzahler Europas hohen Risiken aussetzt. Da sich jedes Land im Schutze der gemeinsamen Haftung ungeachtet seiner Bonität zu gleichen Zinsen verschulden kann, werden auch Projekte in Ländern finanziert, die bislang schon im Übermaß Kapital verbrannt haben und deshalb ohne den gemeinsamen Schutz von den Märkten kaum noch finanziert würden. Die hierin angelegte Verzerrung der Marktprozesse wird – ähnlich wie auch die vielen anderen kollektiven Schutzmechanismen, die im Zuge der Krise errichtet wurden – dazu beitragen, die Fehllenkung des europäischen Investitionskapitals durch politische Einflussnahme zu verstärken.

Es kommt hinzu, dass der neue, über die Gemeinschaftshaftung ermöglichte Schuldenberg, wenn überhaupt, vermutlich nur zu einem kleinen Teil in den Staatsbudgets verbucht werden wird. Damit werden sämtliche Schuldengrenzen der EU-Länder ausgehebelt, beispielsweise der Stabilitäts- und Wachstumspakt, nach dem das Gesamtdefizit eines EU-Landes nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen darf, oder der Fiskalpakt des Jahres 2012, nach dem sich die überhöhten Schuldenquoten der EU-Länder in jedem Jahr um ein Zwanzigstel des Abstandes zu 60 Prozent verringern müssen.

Den Banken hat man vorgeworfen, dass sie sich über ihre ausländischen Schattenbudgets in Form von Zweckgesellschaften zu viele Risiken aufgehalst haben. Dass nun auch die öffentliche Hand mit ähnlichen Tricks arbeitet, gibt Anlass zu größter Besorgnis.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel “Europäisches Schattenbudget”, Handelsblatt, Nr. 27, 9. Februar 2015, S. 48; sowie unter dem Titel “Europe’s Shadow Budget”, Project Syndicate.