ifo Standpunkt Nr. 60: Sieben Wahrheiten über die Zuwanderung

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 29. November 2004

Man rief Arbeitskräfte, und Menschen sind gekommen. Menschen, die stolz auf ihre Heimatländer sind, die ihre Kinder und Freunde lieben, und denen das Deutsche fremd bleibt. Angesichts der wirtschaftlichen Schwäche des Landes diskutiert man wieder über Multi-Kulti-Gesellschaft, Gastarbeiter und Zuwanderer. Aber das muss man bedenken:

1. Zuwanderung bereichert Deutschland.
Zuwanderer haben die kulturelle Vielfalt unseres Landes bereichert und Deutschland weltoffener gemacht. Das Leben ist für die Deutschen bunter geworden. Nicht nur Gyros ist zu einer deutschen Lieblingsspeise geworden, mit einem Gesamtumsatz, der sogar die Hamburger von McDonald's aussticht. Die polnischen Ärzte, türkischen Einzelhändler sowie griechischen und italienischen Gaststätten und Hotels wollen wir nicht missen.

2. Zuwanderer sind fleißig, schaffen Jobs.
Die allermeisten arbeiten und sind gewissenhafte und verlässliche Menschen. Sie erledigen Arbeiten, die Deutsche schon gar nicht mehr machen wollen. Ein Zehntel sind Selbständige oder mithelfende Familienmitglieder. Viele schaffen Arbeitsplätze auch für Deutsche.

3. Zuwanderer sind ehrlich zum Staat.
Nur ein kleiner Teil der Zuwanderer arbeitet schwarz, und diejenigen, die schwarz arbeiten, tun das vielfach nur, weil sie keine Arbeitserlaubnis haben oder ihre Zeugnisse nicht anerkannt werden.

4. Zuwanderung macht uns schlauer.
Die deutsche Forschungslandschaft profitiert von der Zuwanderung ausländischer Forscher. Wissenschaft ist Austausch. Sie kann nicht im eigenen Saft schmoren. Viel Forschungswissen wurde auf diese Weise auch nach Deutschland importiert.

5. Zuwanderer machen uns weltoffen.
Zuwanderer helfen mit, die Welt für Deutschland zu öffnen, indem sie mit ihren Kontakten in die Heimatländer nicht nur Unterstützung und Verständnis für uns Deutsche schaffen, sondern zudem noch mithelfen, wertvolle Handelsverbindungen aufzubauen. Die deutschen Exporte in die Türkei stiegen allein im ersten Halbjahr 2004 um die Hälfte.

6. Zuwanderer wurden angelockt.
Wahr ist aber auch, dass es in der Vergangenheit zu viel Zuwanderung von gering Qualifizierten gab, die von den Leistungen des Sozialstaates angeregt wurde. Das darf man aber nicht den Zuwanderern vorwerfen. Das Problem liegt eher bei der Politik, die es versäumt hat, einer Zuwanderung in den Sozialstaat den Riegel vorzuschieben.

7. Zuwanderung muss gestaltet werden.
Desgleichen kann man nur der Politik selbst vorwerfen, dass sich in den letzten dreißig Jahren viele gering qualifizierte Deutsche von den Zuwanderern in den Sessel drängen ließen, den der Sozialstaat für sie bereit hielt. Damit für die Zuwandernden neue Arbeitplätze entstehen, müssen die Löhne fallen, und damit die einheimischen Geringverdiener das akzeptieren können und keine Nachteile erleiden, brauchen wir ein System der staatlichen Zuzahlungen beim Lohn. Der Sozialstaat muss sein Geld für das Mitmachen statt für die Arbeitslosigkeit ausgeben.

Kurzum: Wir brauchen Zuwanderer, aber wir müssen unser Sozialsystem so ändern, dass wir alle etwas von der Zuwanderung haben.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel "Sieben Wahrheiten über unsere Gastarbeiter", Bild, Nr. 278/48, 16. November 2004, S. 2.