ifo Standpunkt Nr. 92: Die Party ist vorbei

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 18. März 2008

Der Boom der Weltwirtschaft ist zu Ende, nachdem sich die USA immer mehr auf eine Rezession zubewegen. Mit einem Wachstum von etwa 5 Prozent war der jetzige Boom ungewöhnlich lang und gefestigt; eine Periode mit einer solch kräftigen Dynamik hat es etwa seit 1970 nicht mehr gegeben.

Das deutlichste Anzeichen für das Ende des Booms ist die Wachstumsprognose des Währungsfonds für die amerikanische Wirtschaft in Höhe von 1,5% für 2008. Das sieht zwar nicht wie eine Rezession aus, aber der Zahlenwert resultiert überwiegend aus dem so genannten Wachstumsüberhang des Jahres 2007. Der Beitrag des Jahres 2008 ist nur noch gering. Die Prognose des IWF ist mit einem Nullwachstum in drei aufeinander folgenden Quartalen des Jahres 2008 kompatibel.

Viele meinen, dass eine Rezession in den USA keine Auswirkungen auf die Weltwirtschaft hat, da China nun an die Stelle der USA getreten sei, aber das ist eine Illusion. Obwohl China schnell wächst, ist sein ökonomisches Gewicht immer noch klein. Während die USA 28% zum Sozialprodukt der Welt beitragen, erzeugt China nur 5%. Ganz Asien, von der Türkei bis China, steuert gerade einmal 24% bei, weniger als die USA allein.

Irgendwann wird es schon so sein, dass die Welt sich keinen Schnupfen mehr holt, wenn die USA niesen, aber so weit ist es noch lange nicht. 21% des chinesischen Exports und 23% des EU-Exports gehen in die USA. Keine Frage, dass die Weltwirtschaft von der Wirtschaftskrise in den USA heruntergezogen wird.

Der jüngste, gerade veröffentlichte CESifo World Economic Survey (WES), eine Umfrage unter 1000 Experten in 90 Ländern, bestätigt diese These. Überall hat sich im ersten Quartal die Einschätzung der aktuellen Geschäftslage und die Erwartung für die kommenden sechs Monate verschlechtert. In West- und in Osteuropa sank der WES-Indikator mehr als in Asien oder Lateinamerika. Seit dem Platzen der Blase auf dem Aktienmarkt im Jahr 2001 ist der Indikator nicht so stark zurückgegangen wie zuletzt. In den USA liegt er derzeit unter dem Wert, den er nach dem 11. September 2001 erreichte. Dasselbe trifft auch auf den viel beachteten Index des Verbrauchervertrauens der Universität Michigan zu.

Viele Jahre haben die USA über ihre Verhältnisse gelebt, mit einer Sparquote der Haushalte nahe bei Null und Investitionen, die fast ausschließlich vom Ausland finanziert worden sind. Das Defizit der US-Leistungsbilanz, das identisch ist mit dem Nettokapitalimport, vergrößerte sich laufend bis zu 811 Mrd. USD im Jahre 2006. Das waren 6% des BIP – der höchste Wert seit der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929. Jahr für Jahr gelang es den Amerikanern, ihre Wertpapiere ins Ausland zu verkaufen und es sich zu Hause gut gehen zu lassen. Damit ist jetzt Schluss. Die Welt hat den Trick verstanden.

Überall auf der Welt begreifen heute die Banken die schmerzliche Wahrheit, dass die Schulden, mit denen die Amerikaner ihren Konsumboom finanzierten, nicht notwendigerweise zurückgezahlt werden. Die „Pfandbriefe“, die die amerikanischen Banken der Welt verkauften, sind nicht mit europäischen Wertpapieren vergleichbar, die ähnliche Bezeichnungen tragen.

In Europa, vor allem aber in Deutschland, ist ein Pfandbrief ein höchst sicheres Wertpapier, da die Banken eine Immobilie in der Regel höchstens zu 60% ihres Wertes beleihen. Im Gegensatz dazu sind die amerikanischen Wertpapiere kaum mehr als Lotterielose. Amerikanische Banken beleihen eine Immobilie bis zu 100%, manchmal sogar noch höher. Im Markt dieser zweitklassigen Wertpapiere werden Darlehen sogar an Personen ohne Arbeitsplatz und Einkommen vergeben. Viele europäische Banken haben dies vielleicht nicht zur Kenntnis genommen, aber ganz wohl war ihnen in ihrer Haut nicht, denn vielfach versteckten sie ihre zweifelhaften Engagements in ausländischen „Zweckgesellschaften“, so genannten Conduits, die sie in Niedrigsteuerländern gründeten.

Diese Zweckgesellschaften weisen nun riesige Verluste auf, die von den Muttergesellschaften gedeckt werden müssen. Einige Banken stehen bekanntlich sogar schon am Rande des Bankrotts. In diesem Frühjahr wird ein Teil der notwendigen Wertberichtigungen in den Büchern aufscheinen. Die ganze Wahrheit wird sich jedoch erst im Frühjahr 2009 zeigen, wenn die Jahresabschlüsse für das Jahr 2008 veröffentlicht werden.

Der Attraktivitätsverlust der amerikanischen Vermögensobjekte bedeutete einen Preisverfall, der sich entweder als Senkung der in Dollar ausgedrückten Kurse oder als Abwertung des Dollar selbst äußern musste. Berücksichtigt man die Inflationsdifferenzen, so ist der Dollar gegenüber dem Euro derzeit in der Tat gegenüber dem Euro fast so niedrig bewertet wie 1992 gegenüber der D-Mark, als die deutsche Vereinigung zu einem Zusammenbruch des europäischen Währungssystems geführt hatte.

Auch die Hauspreise fallen in den USA, wobei sich die Abwärtsbewegung am aktuellen Rand sogar noch beschleunigt hat. In vielen Gegenden der USA liegt der Preisrückgang bei mehr als 10% pro Jahr. Die Kurse der amerikanischen Pfandbriefe folgten dem Fall der Hauspreise. Nur die Kurse am US-Aktienmarkt blieben, abgesehen von den kurzfristigen Einbrüchen vor ein paar Wochen, einigermaßen stabil. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch sie fallen, denn die Überbewertung ist offenkundig. So liegt der Kurs-Gewinn-Verhältnis der im Standard and Poor´s Index enthaltenen Aktien immer noch über seinem langjährigen Durchschnitt. Im Jahre 2007 lag dieses Verhältnis bei 26,84, doch im Durchschnitt der Jahre von 1881 bis 2007 lag es bei 16,31.

Der Fall der Vermögenspreise könnte eine Rezession in den USA erzwingen. Erstens müssen die Konsumenten wegen strengerer Kreditregeln und fallender Hauspreise ihre Ausgaben kürzen. Das dämpft das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft und über den Welthandel auch das Wachstum der Weltwirtschaft. Zweitens sind die Banken, die einen Teil ihres Eigenkapitals verloren haben, gezwungen, auch ihre Ausleihungen zu reduzieren, um bei den Rating-Agenturen ihre Bewertungen nicht zu gefährden. Nach einer Herabstufung müssten sie höhere Zinsen auf die aufgenommenen Kredite bezahlen. Die Reduktion der Ausleihungen schränkt die private Investitionsnachfrage ein.

Es ist wahr, dass die amerikanische Zentralbank versucht hat, durch eine Senkung der Zinsen gegenzusteuern. Aber die Zentralbank kann die Banken nicht mit neuem Eigenkapital ausstatten, um damit der Kreditverknappung entgegen zu treten. Mehr ist von der Steuersenkung in Höhe von 150 Mrd. US-Dollar zu erwarten, die der US-Kongress jüngst beschlossen hat. Diese Steuersenkung beläuft sich auf ein Prozent des amerikanischen Sozialprodukts, was eine wirklich beeindruckende Größenordnung ist. Ob dies freilich ausreicht, die Hauseigentümer für ihren Vermögensverlust zu entschädigen und die drohende Rezession zu verhindern, bleibt abzuwarten. Was auch immer geschieht, die Party ist vorbei.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel "The global economic party has ended", The Japan Times, 10. März 2008; ebenso abgedruckt in Börsen-Zeitung (Deutschland), Les Echos (Mali), Standard Times (Sierra Leone), The Australian Financial Review (Australien), China Daily (China), Apple Daily (Hongkong), Jakarta Post (Indonesien), The Korea Herald (Korea), The Edge (Malaysia), Business World (Philippinen), AKI-Press (Kirgisien), Die Presse (Österreich), Dnevnik (Bulgarien), Vilaggazdasag (Ungarn), Diario Economico (Portugal), Danas (Serbien), Finance (Slowenien), Expansion (Spanien), L'Agefi (Schweiz), The Scotsman (Großbritannien), Valor (Brasilien), Ultima Hora (Paraguay), Al Tijaria (Bahrain), Al-Sabah Al-Jadeed (Irak), Al Jarida (Kuwait), Times of Oman (Oman), Al Eqtisadiah (Saudi-Arabien).