Hilfe für die Eiger-Nordwand

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Capital, 20. Januar 2005

Hartz IV führt zu einem gewaltigen Verdrängungswettbewerb auf dem Jobmarkt. Die Reform zwingt zwei Millionen Langzeitarbeitslose, sich zu regen, weil die Arbeitslosenhilfe gestrichen wird. Plötzlich bewerben sich daher Job-sucher auf Stellen, die vorher für sie unattraktiv waren: Da nimmt der ehemalige Ingenieur den Job des Facharbeiters ein, und der Facharbeiter tritt an die Stelle des Hilfsarbeiters. Den beißen die Hunde.

Denn der beim Arbeitslosengeld II vorgesehene Transferentzug im Falle von Hinzuverdiensten baut bei den Betroffenen Lohnansprüche auf, die so hoch sind, dass gering Qualifizierte dafür keine Jobs finden können. Zwar bleiben die ersten 50 Euro Zusatzeinkommen frei. Doch im Bereich bis zu 1600 Euro Monatsverdienst - ein Bereich, der für Verheiratete ohne Kinder relevant ist - werden für jeden zusätzlich verdienten Euro zwischen 80 und 89 Cent wieder abgezogen. Das liegt am Wegfall der staatlichen Hilfen und den Sozialabgaben. Wer unter diesen Verhältnissen in einem Vollzeitjob pro Stunde 5 Euro netto hinzuverdienen will, braucht einen Bruttolohn von durchschnittlich 28 Euro. Da es dafür aber nun mal keine Jobs gibt, muss man befürchten, dass die Verdrängungskaskade, die Hartz IV auslöst, unten so viele Leute aus dem Arbeitmarkt herausdrückt, wie oben neu hineindrängen.

Chance. Der einzige Schutz dagegen sind die Ein-Euro-Jobs. Einerseits können sie die Verdrängten aufnehmen. Andererseits veranlassen sie diese, ihre Lohnvorstellungen trotz schlechter Hinzuverdienstmöglichkeiten zu senken: Wer einen solchen Job nämlich ablehnt, dem wird das Arbeitslosengeld II gekürzt. Bei niedrigeren Lohnansprüchen wird es in der Tat neue Stellen in der Wirtschaft geben.

Allerdings genügt schon die Aufnahme eines Miniarbeitsverhältnisses, das kaum mehr als deklaratorischen Charakter hat, um die Bereitschaft zur Annahme einer zumutbaren Stellen zu beweisen und so weiterhin den größten Teil des Arbeitslosengeldes II zu erhalten. Wer dann mehr verdienen will, steht immer noch vor der steilen Eiger-Nordwand, die der Transferentzug aufbaut. Wer etwa sein Einkommen von 200 Euro auf 400 Euro verdoppeln möchte, braucht, um netto 5 Euro pro zusätzlicher Stunde zu verdienen, einen Bruttolohn von 35 Euro. Wer es von 400 Euro auf 800 Euro verdoppeln möchte, braucht 25 Euro für 5 Euro netto, und wer es von 800 Euro auf 1600 Euro verdoppeln möchte, braucht als verheirateter Alleinverdiener sogar mehr als 40 Euro.

Korrekturen. Das muss korrigiert werden. Auch Wirtschaftsminister Wolf gang Clement hat das schon eingesehen. Die nötigen Änderungen sind mehr als nur Marginalien, wenn man verhindern will, dass dem Staat riesige Finanzierungslasten entstehen. Das Arbeitslosengeld II muss für den Fall, dass jemand nicht arbeitet, gesenkt werden. Im Gegenzug müssen die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessert werden. Die kommunalen Jobs sollen bleiben, dürfen aber nur Notanker sein.

Das Ifo-Modell der aktivierenden Sozialhilfe weist den Weg zu Hartz V: Bei Nichtarbeit wird das Arbeitslosengeld II um etwa ein Drittel gekürzt. Bei Aufnahme eines Jobs dagegen werden die ersten 200 Euro sogar noch mit 20 Prozent bezuschusst, weitere 200 Euro sind vom Transferentzug befreit. Bei Einkommen von mehr als 400 Euro wird die Grenzbelastung, die jetzt bei 80 bis 90 Prozent liegt, auf 70 Prozent gesenkt. Die kommunalen Jobs gibt es weiterhin, müssen aber acht Stunden am Tag ausgeübt werden, wenn man Arbeitslosengeld II in heutiger Höhe bekommen will. Und der Staat darf die ihm anvertrauten Arbeitnehmer nicht selbst einsetzen, sondern muss sie meistbietend an die private Wirtschaft weiter verleihen. Das wäre ein funktionierendes System, das den Arbeitsmarkt in Schwung brächte und gering qualifizierten Arbeitnehmern mehr Jobs und Einkommen verschaffen würde.

"Man muss befürchten, dass die Verdrängungskaskade, die Hartz IV auslöst, unten so viele Leute aus dem Arbeitsmarkt herausdrückt, wie oben neu hineindrängen."

 

Hans-Werner Sinn