Erziehung bei der Rente belohnen

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Westdeutsche Zeitung, 10.08.2005, S. 5

Eine Kinderrente könnte viele Paare bewegen, sich ihren Wunsch nach Familie zu erfüllen. Wie das Konzept möglich werden könnte - ein Gastbeitrag.

von Hans-Werner Sinn

München. In Relation zu seiner Bevölkerung hat Deutschland weniger Kinder als jedes andere Land der Erde. Wirtschaftliche Stagnation und Rentenkrise sind nur zwei der problematischen Folgen dieser Entwicklung. Zu den Ursachen der demographischen Krise gehört aber sicherlich das umlagefinanzierte System der Rentenversicherung selbst. Dieses System hat die demographische Krise, unter der es nun leidet, selbst mit hervorgerufen.
Die Rentenversicherung ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit. Auch wenn man selbst keine Kinder haben kann, muss man im Alter nicht hungern, weil man von den Kindern anderer Leute ernährt wird. Der gegenseitige Versicherungsschutz ist ein großer Vorteil für alle Beteiligten. Problematisch ist aber, dass er die ökonomischen Gründe für den Kinderwunsch aus der Familienplanung ausblendet, indem er die Leistung der Kinder an die vorangehende Generation fast vollständig sozialisiert.

Vor der Einführung der Rentenversicherung durch Bismarck war es auch in Deutschland üblich, Kinder zu bekommen, um den eigenen Alterskonsum sicherzustellen. Heute verbindet jedoch kaum ein junges Paar den Kinderwunsch noch mit der Frage, wie der eigene Lebensabend zu sichern ist. Der Vollkaskoschutz gegen Kinderlosigkeit hat eine Vollkaskomentalität erzeugt.

Wenn nun die Deutschen weniger Kinder haben als frühere Generationen, also weniger Humankapital bilden, müssen sie als Ersatz Realkapital anhäufen, um so die mangels Nachkommen wegfallenden Rententeile zu ersetzen. Dies ist die richtige Überlegung, die zur Riester-Rente und zur Rentenkürzung im Umlagesystem geführt hat. Die RiesterRente ist aber noch nicht zu Ende gedacht.

Sie verringert die Fehlanreize für die Familienplanung nicht und führt zu kaum tragbaren Lasten bei Familien mit Kindern. Die Familien finanzieren mit ihren Rentenbeiträgen die Generation ihrer Eltern. Sie bezahlen durch die Erziehung ihrer Kinder die Renten der Zukunft. Und zusätzlich sollen sie auf dem Wege des Riester-Sparens ihre eigenen Renten noch einmal finanzieren. Zwei Lasten sind im Generationenzusammenhang normal. Die dritte ist eine zuviel.

Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen fokussiert werden. Wer keine Kinder bekommen will oder kann, dem kann zugemutet werden, dass er das Geld, das andere für die Kindererziehung ausgeben, am Kapitalmarkt anlegt, um sich so eine Zusatzrente zu verschaffen.

Konkret könnte man so verfahren: Die gesetzliche Rente wird beibehalten, aber sie wird auch nicht immer wieder von neuem mit Steuergeldern aufgeplustert. Beitragssatz und Bundeszuschuss werden eingefroren. Dann fällt das Rentenniveau in 30 Jahren auf die Hälfte, weil jeder Erwerbstätige doppelt so viele Alte zu ernähren hat. Auch mit der Erhöhung der Altersgrenze und der Vermehrung der Frauenerwerbstätigkeit fällt es von jetzt 48 auf cirka 32 Prozent, das heutige Sozialhilfeniveau. Das reicht hinten und vorne nicht. Also bedarf es aufstockender Rentensäulen.

Die eine Säule ist die Kinderrente für Eltern. Wer Kinder groß gezogen hat, bekommt eine umlagefinanzierte Rente, die die Gesamtrente zusammen mit der siechenden Altrente wieder auf 48 Prozent hebt. Bezahlt wird diese Rente von allen dann erwerbstätigen Personen einschließlich der Selbstständigen und Beamten. Die andere Säule besteht in einem erweiterten Riester-Sparen zu etwa acht Prozent des Lohneinkommens, die die Gesamtrente ebenfalls auf 48 Prozent hebt. Das Sparen ist Pflicht.

Jeder, der in das Erwerbsleben eintritt, muss mitmachen, bis er Kinder bekommt. Wird das erste Kind geboren, wird ein Drittel der angesammelten Ersparnis ausgeschüttet, und ein Drittel des weiteren Pflichtsparens wird erlassen, denn Humankapital mit einem entsprechenden Rentenanspruch steht nun als Ersatz des Realkapitals zur Verfügung. Und so wird bei jedem weiteren Kind bis zu drei Kindern verfahren.

Junge Paare wissen nun, wie es wirklich ist. Zur Sicherung des Alterskonsums müssen sie sparen oder Kinder groß ziehen. Viele werden sich angesichts dieser Verhältnisse entschließen, sich ihren latent vorhandenen Kinderwunsch zu erfüllen. Außerdem ist die Rente gesichert, weil entweder Real- oder Humankapital zu ihrer Finanzierung zur Verfügung steht. Nur so kann Deutschland seine Krise meistern.

Professor Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung