Geld aus dem Zauberhut

DENKFABRIK | Vertreter von Bundestag und Europäischer Zentralbank haben vor dem Verfassungsgericht versucht, die Risiken eines unbegrenzten Ankaufs von Staatsanleihen zu relativieren. Doch ihre Argumente sind nicht stichhaltig. Ein Ausfall dieser Papiere würde auf den Bundeshaushalt durchschlagen. Von Hans-Werner Sinn
Autor/en
Hans-Werner Sinn
WirtschaftsWoche, 24.06.2013, Nr. 26, S. 40

Die jüngste Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht hat einmal mehr die Widersprüche der aktuellen Euro-Debatte aufgezeigt. Der Streit konzentrierte sich auf das sogenannte OMT-Programm, nach dem die Europäische Zentralbank (EZB) notfalls unbegrenzt Staatspapiere kaufen kann. Alle fünf ökonomischen Gutachter bestätigten dem Gericht, wenn auch zum Teil erst auf Nachfrage, dass es sich beim OMT um eine monetäre Staatsfinanzierung handele. Diese Sicht wurde von den Vertretern des Bundestages und der EZB nicht geteilt. Sie deklarierten das Programm als  geldpolitische Maßnahme. Einige von ihnen argumentierten sogar, Verluste der EZB aus dem Kauf toxischer Staatspapiere würden nicht notwendigerweise auf den Staatsetat durchschlagen. Insofern brauche der Staat dafür auch keine Rückstellungen zu bilden. Die Notenbanken des EZB-Systems könnten nach einer Abschreibung schließlich auch mit negativem Eigenkapital weiterarbeiten. Ein Problem entstehe nur, wenn der Staat das verloren gegangene Eigenkapital mit Steuermitteln ersetzen müsse, aber das sei nicht der Fall. Im Euro-System gebe es bei Verlusten keine Nachschusspflicht für die Mitgliedstaaten.

Reale Verluste

Das aber ist die Theorie vom Geld aus dem Zauberhut. Ich kenne das Zauberhut-Argument von den Target-Forderungen der Bundesbank, die vielerorts als irrelevante Salden abgetan werden. Aber hinter den Target-Forderungen wie hinter den Staatspapieren steht der Anspruch auf einen dauerhaften Strom an Zins und Tilgungsleistungen. Fallen die Titel aus — so die Target-Forderungen beim Untergang des Euro oder die Staatspapiere beim Konkurs des betreffenden Staates — , dann entfallen auch die Zins- und Tilgungsleistungen. Der Verlust ist keineswegs virtuell, sondern äußerst real für denjenigen, dem diese Forderungen gehören.

Als Gegenargument höre ich bisweilen, der Verlust erstrecke sich im Zweifel nur auf die Zinsen, denn wegen der laufenden Anschlussfinanzierung werde ohnehin nicht getilgt. Er sei insofern vernachlässigbar.

Auch dieses Argument ist falsch. Der Barwert von Zins und Tilgung ist immer gleich dem Wert der Forderung selbst, egal, welcher Tilgungsverlauf gewählt wird. Das gilt generell, auch wenn nie getilgt wird. Die Gewinnausschüttungen der Bundesbank an den Finanzminister gehen deshalb barwertmäßig genau um die Abschreibungsverluste auf die erworbenen Staatspapiere zurück — auch dann, wenn die Bundesbank mit negativem Eigenkapital weiterarbeitet und nicht rekapitalisiert wird.

Die einzige natürliche Haftungsschranke, die dem OMT gesetzt ist, liegt aus diesem Grunde im Barwert der Zinseinnahmen des EZB-Systems, dem sogenannten Seignorage-Vermögen, denn das ist das Maximum dessen, was die Euro-Staaten als Eigentümer der EZB verlieren können, wenn sie kein neues Eigenkapital bereitstellen und sich die EZB nicht durch Inflation aus der Affäre zieht. Bliebe die zirkulierende Zentralbankgeldmenge konstant, läge das Seignorage-Vermögen gerade beim heutigen Wert dieser Geldmenge, also bei 1363 Milliarden Euro. Unter der Annahme eines gewissen Wachstums bei moderater Inflation hat die Citi-Bank sogar 3,4 Billionen Euro errechnet. Daran wäre Deutschland mit 920 Milliarden Euro beteiligt.

Eine andere Haftungsschranke liegt beim Wert der Staatspapiere selbst, die potenziell im Rahmen des OMT-Programms gekauft werden könnten. Die EZB hat angekündigt, notfalls alle Papiere mit einer Gesamt- und Restlaufzeit von ein bis drei Jahren zu kaufen. Demgemäß erstreckt sich das Schutzversprechen perspektivisch auf fast alle Staatspapiere der Krisenländer, nach heutigem Stand etwa zwei Billionen Euro.

Sollte Frankreich auch noch in Schwierigkeiten kommen, dann reden wir über etwa 3,5 Billionen Euro, was zufällig ein ähnlicher Wert wie der Barwert des Seignorage-Vermögens ist.

Kein echter Deckel

In der Presse geisterte die Nachricht herum, das Aufkaufprogramm sei bei 524 Milliarden Euro gedeckelt. Diese Zahl gibt für eine Teilmenge der Krisenländer das ausstehende Volumen der Papiere mit einer Gesamtlaufzeit von ein bis drei Jahren an. Sie hat keine tiefere Bedeutung, weil es schon heute viele Papiere mit einer Restlaufzeit von ein bis drei Jahren gibt, die ebenfalls gekauft werden können, und weil fast jedes Papier irgendwann in den Bereich einer solchen Restlaufzeit kommt.

Schließlich gibt es noch das Argument, das OMT-Programm koste nichts, denn die EZB habe ja noch kein einziges Papier gekauft.  Auch das ist eine aus ökonomischer Sicht unakzeptable Behauptung! Der Schutz, den eine Versicherung bietet, ist auch dann ökonomisch wertvoll, wenn der Schadensfall gar nicht eintritt. Für die Risiken, die ihm auferlegt werden, könnte der deutsche Staat viel Geld verdienen, wenn er sie durch den Verkauf von CDS-Versicherungen zum Schutz gegen Staatsinsolvenzen übernehmen würde. Das OMT- Programm kostet Deutschland die entgangene Versicherungsprämie und führt dazu, dass deutsches Sparkapital weiterhin dorthin fließt, wo es sich bereits verbrannt hat — und eigentlich nicht mehr hin will.