"Das zwingt uns in die Knie"

Folgen der Griechenland-Krise
Interview mit Hans-Werner Sinn, Spiegel online, 26.04.2010

EU und der IWF wollen Griechenland aus der Schuldenfalle retten - beendet ist die Krise damit nicht. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview warnt Ifo-Ökonom Hans-Werner Sinn vor Dauerhilfen für Europas Pleitekandidaten. Gerade Deutschland könnte dann zum Zahlmeister werden.

SPIEGEL ONLINE: Griechenland hat nun offiziell Hilfen bei der EU und dem IWF beantragt. Es geht um insgesamt 45 Milliarden Euro. Reicht das aus, um Griechenland zu retten?

Sinn: Es reicht temporär, aber es wird nicht dauerhaft reichen, denn Griechenland ist bankrott. Das Land ist überschuldet, und es fehlt ihm ein Geschäftsmodell. Es hat ein riesiges Leistungsbilanzdefizit, das im letzten Jahr bei 27 Milliarden Euro lag, also rund 13 Prozent des griechischen Nettonationaleinkommens ausmachte. Selbst wenn jetzt geholfen wird, bleibt das Defizit bestehen. Es müsste also dauerhaft finanziert werden.

SPIEGEL ONLINE: Wer sollte es finanzieren?

Sinn: Wenn Griechenland auf den Kapitalmärkten kein Geld mehr bekommt, bleibt nur die EU. Aber das heißt, die EU in eine Transferunion zu verwandeln, nach dem Vorbild des deutschen Länderfinanzausgleichs. Die EU hätte dann eine andere Qualität. Ohne dass ein neuer Maastricht-Vertrag gemacht wird, geht das nicht. Das zwingt uns in die Knie, das können wir gar nicht durchhalten, weil Dominoeffekte schlimmsten Ausmaßes eintreten. Länder wie Portugal oder Spanien verlassen sich dann darauf, dass sie ihre Defizite durch Transfers der EU finanziert bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Woher bekommt Griechenland Geld, um längerfristig über die Runden zu kommen?

Sinn: Von den Märkten jedenfalls nicht mehr. Ich vermute, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) schon recht bald ein Schuldenmoratorium verlangen wird, dass also die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen werden verzichten müssen. Jedenfalls gehen die Märkte heute davon aus. Warum sonst sollten sie auf die angekündigten Hilfsprogramme mit solch einem radikalen Anstieg der Zinsen reagieren. Aber das wird nicht das letzte Moratorium sein. Je mehr Geld wir Griechenland geben, desto größer wird der Schuldenerlass sein, den man dem Land in den kommenden Jahren wird geben müssen.

SPIEGEL ONLINE: Kann sich das Land nicht selber helfen?

Sinn: Ja, aber dann muss es sein Leistungsbilanzdefizit abbauen. Dafür gibt es nur zwei Wege. Der eine ist eine Depression und eine Senkung der Löhne und Preise, was das Land an den Rand eines Bürgerkrieges treiben würde. Der zweite Weg ist ein Austritt aus dem Euro mitsamt einer Abwertung.

SPIEGEL ONLINE: Würde das nicht den Euro destabilisieren?

Sinn: Vielleicht, aber ich bin mir nicht sicher. Was den Euro destabilisiert, ist ein Schuldenmoratorium, aber das wird so oder so kommen. Für Griechenland wäre es jedenfalls wesentlich leichter, seine Wettbewerbsfähigkeit außerhalb des Euro wiederherzustellen, als innerhalb des Euro den Kurs der Depression und Abwertung der Löhne und Preise zu gehen. Und vielleicht wäre der Euro ohne Griechenland stärker als mit Griechenland.

SPIEGEL ONLINE: Hilft nicht Budgetdisziplin?

Sinn: Doch, nur ist das kein separater Weg. Dieser Weg verringert das Außenhandelsdefizit Griechenlands bei einem Verbleib im Euro-Verbund auch nur, wenn dadurch eine Depression mit sinkenden Löhnen und Preisen ausgelöst wird. Die Depression senkt die Importe, und die sinkenden Löhne und Preise erlauben es den Griechen, den Tourismus zu stärken und auch wieder die ein oder andere Ferienimmobilie zu verkaufen.

SPIEGEL ONLINE: Überzeugt sind wir nicht.

Sinn: Ich will aber nicht verhehlen, dass der Austritt alles andere als eine gute Lösung ist. Man hat nur die Wahl zwischen mehreren Übeln. Bei jedem Lösungsweg fällt es leicht, schlimme Implikationen herzuleiten. Das Ganze ist eine echte griechische Tragödie.

SPIEGEL ONLINE: Wenn man bei Griechenland den Anfang macht, wie soll man sich weiteren Kandidaten verwehren, wer sind aus Ihrer Sicht weitere Kandidaten?

Sinn: Portugal, Irland, Spanien, Italien - in dieser Reihenfolge. Irland zum Beispiel hat behauptet, dass es energische Restrukturierungsmaßnahmen macht und von seinem 14,5 Prozent Budgetdefizit runterkommt. Kommt es aber nicht. Diese Länder haben zuletzt zusammen mit Griechenland ein Leistungsbilanzdefizit von 220 Milliarden Euro gehabt. Das ist das Problem. Die Länder haben sich verschuldet und haben mit diesen Schulden einen künstlichen Wirtschaftsboom erzeugt, durch den sie sehr teuer geworden sind. Um zurückzukommen zur Wettbewerbsfähigkeit müssen sie wieder billiger werden, da führt kein Weg dran vorbei. Man muss versuchen, den Prozess zu strecken, das bedeutet aber für die Länder eine Dauerflaute, die auch den Rest Europas in Mitleidenschaft ziehen wird.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das Einspringen von IWF und EU für den Euro?

Sinn: Die Wirkungen sind komplex. Es gibt zunächst mal den Effekt, dass man den Kapitalanlegern mehr Sicherheit schafft, die ihr Geld nach Europa tragen. Trotzdem bleibt es ein Risiko. Wenn der liebe Gott das Geld für Griechenland zahlen würde, würde es den Euro sicher stärken. Aber das Geld geht zu Lasten der anderen Länder, die auch sukzessive auf die schiefe Bahn geraten. Das wissen die Anleger auch. Was der Nettoeffekt ist, weiß ich nicht. Der Euro ist durch die unsolide Haushaltspolitik der letzten Jahre so oder so geschwächt - ob wir zahlen oder nicht.

SPIEGEL ONLINE: Sie raten Deutschland, den Trip der EU nicht mitzumachen. Welche Möglichkeiten hat Deutschland überhaupt, da auszuscheren?

Sinn: Jetzt ist es politisch vielleicht zu spät. Aber dennoch: Es steht ein so fundamentaler Paradigmenwechsel an, dass der Bundestag in dieser Sache das letzte Wort haben muss.

SPIEGEL ONLINE: Geht es denn ganz ohne Hilfen? Führt das nicht ins Chaos?

Sinn: Die Geschäftsgrundlage für den Euro war bislang, dass es keine Hilfen gibt. Das war Deutschlands Bedingung für die Hergabe der D-Mark. Der Rettungsfonds stand ja von Anfang an mit dem Delors-Plan schon zur Disposition. Deutschland wollte immer den amerikanischen Weg. Dort gehen überschuldete Länder Pleite, ohne dass ihnen geholfen würde. Nach einem Schuldenmoratorium macht man weiter. Weil das jeder weiß, sind die Kapitalmärkte vorsichtig, und die Staaten müssen frühzeitig Schuldendisziplin üben.

SPIEGEL ONLINE: Hat die Regierung schlecht verhandelt.

Sinn: Alles ist relativ. Es hätte noch schlimmer kommen können, wenn der IWF nicht mit im Boot sitzen würde. Ihn reinzuholen war klug. So richtet sich der Zorn der Griechen nach Amerika. Der IWF wird durchgreifen. Die Sache wird so etwas härter für Griechenland und die Gläubiger. Es liegen ja über 30 Milliarden Euro Griechenlandanleihen bei deutschen Banken. Etwa 55 Milliarden Euro liegen bei französischen Banken. So oder so werden wir getroffen. Es ist für uns aber billiger, die Lasten des Schuldenmoratoriums zu tragen, als Griechenland und die anderen Sünderländer dauerhaft durchzupäppeln.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeuten die Hilfspakete für Deutschland als einen der größten Gläubiger? Bis 2012 fließen vermutlich 30 Milliarden Euro von Berlin nach Athen. Geraten wir nicht auch unter verstärkten Druck?

Sinn: Deutschland gerät in der Tat unter Druck, nicht in erster Linie wegen Griechenland, sondern vor allem wegen der vielen Nachahmer, die es geben wird. Wir haben heute schon eine Schuldenquote von 73 Prozent. Wir sind schon auf der schiefen Bahn, und die wird nun noch schiefer. Zum Glück gibt es die Verankerung im Grundgesetz, dass sich die Bundesländer ab 2020 nicht mehr verschulden dürfen.

Das Interview führte Janko Tietz