„Noch sehr viel Geld nötig“

Der Präsident des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, übt scharfe Kritik an der Währungspolitik der europäischen Regierungen.
Interview mit Hans-Werner Sinn, Südkurier, 25.07.2011, Nr. 169, S. 6

Herr Professor Sinn, die Menschen in Deutschland fliehen zur Zeit in die Sachwerte, kaufen Gold und Immobilien. Ist das die instinktiv richtige Reaktion auf die Euro-Krise?

Immobilien in Deutschland zu kaufen ist auf jeden Fall richtig. Bei Gold ist das anders. Der Run auf das Gold hat ja schon stattgefunden. Wer weiß, ob nicht doch einmal Goldbestände von den Zentralbanken Europas verkauft werden.

Wie beurteilen Sie die jüngsten Beschlüsse zur Rettung Griechenlands?

Die Banken sind dabei gut weggekommen, denn sie erhalten nun 80 Prozentvom Nennwert für Papiere, die vor den Beschlüssen zu 50 Prozent gehandelt wurden. Wichtiger als die Beschlüsse zu Griechenland sind aber die Beschlüsse zu Italien. Obwohl Italien gar nicht explizit erwähnt ist, meinte man dieses Land, als man beschloss, dem Luxemburger Fonds das Recht zu geben, präventiv zur Kurspflege Staatspapiere zu kaufen, und zwar ohne dass das Land Auflagen erfüllen muss und ohne dass der IWF beteiligt wird.

Und was bedeutet das?

Das ist der Schritt in die Vergemeinschaftung der Haftung für die Altbestände an Staatsschulden. Hierfür wird noch sehr viel Geld benötigt werden. Die zentrale Verteidigungsbastion, die Deutschland bislang dagegen aufgebaut hat, ist in der vergangenen Woche gefallen. Dies ist wesentlich wichtiger als das, was zu Griechenland beschlossen wurde, aber es kommt in den Medien kaum zur Sprache.

Warum sind Sie gegen die Rettungspakete?

Ich bin nicht grundsätzlich dagegen. Ich finde nur, sie sind inzwischen zu groß und drohen, zum Selbstbedienungsladen zu werden. Das Geld wächst schließlich nicht auf den Bäumen. Die Summen, die man beisteuern muss, um die Kurse der Staatspapiere trotz der schwindenden Bonität einzelner Länder zu halten, sind unermesslich. Das ist das Problem.

Sie vertreten die Ansicht, das Beste wäre, wenn Griechenland zeitweise den Euro-Raum verlassen würde, aber für Rauswerfen sind Sie wohl nicht?

Für Griechenland ist es das Beste, und die Griechen müssen ganz allein darüber entscheiden. Ich bin aber auch nicht dafür, dass wir Griechenland nach Belieben weiter finanzieren und ihnen insofern die Entscheidung abnehmen. Irgendwann muss Schluss sein, und sie müssen sich selbst versorgen.

Die Politiker befürchten eine politische Destabilisierung...

Sie befürchten eine Destabilisierung der Märkte. Sie sind unter dem Druck der Märkte. Aber sie fürchten sich offenbar nicht vor einer Destabilisierung unseres Staatswesens, die sie für die nachfolgenden Legislaturperioden einleiten, indem sie überdimensionierte Rettungspakete schnüren.

Sie gehen davon aus, dass Deutschland mit stattlichen Milliardenbeträgen in der Euro-Krise hängen bleibt?

Ja, mit riesigen Milliardenbeträgen. Die griechischen Schulden werden die Steuerzahler der anderen europäischen Länder mit Transfers an Griechenland zurückbezahlen.

Sie sagen einerseits Deutschland wegen des zurück flutenden Kapitals in den „sicheren Hafen“ eine „goldene Dekade“ voraus, andererseits aber zu einem späteren Zeitpunkt auch Heulen und Zähneklappern, wenn sich die Belastungen kumulieren und auf eine aus demografischen Gründen geschrumpfte Erwerbsbevölkerung treffen. Dürfen wir uns freuen oder müssen wir uns fürchten?

„Heulen und Zähneklappern“ stammt von Ihnen. Wir haben zwei gegenwirkende Kräfte. Die Euro-Krise sorgt dafür, dass sich das deutsche Sparkapital nicht mehr aus dem Land heraus traut. Das treibt nun, nach langen Jahren der Flaute, den Investitionsboom in Deutschland, der neben und vor dem Export die wesentliche Triebfeder des deutschen Aufschwungs ist. Solange die Kapitalanleger ihre Scheu vor Auslandsanlagen behalten, wird es der deutschen Wirtschaft gut gehen. Die Rettungspakete reduzieren aber diese Scheu, und damit schwächen sie die deutschen Investitionen und das Wachstum ab. Zugleich schaffen sie für die Zukunft eine Belastung, wenn Garantien gezogen und Schulden nicht zurückgezahlt werden. Die Rettungspakete gefährden also die zehn schönen Jahre, die wir grundsätzlich erwarten dürfen, weil die Krise dem hemmungslosen Verleih der deutschen Spargelder in das Ausland ein Ende bereitet hat.

Sehr positiv klingt das alles nicht. Sind Sie unterm Strich noch für den Euro?

Ja, natürlich. Wir müssen den Euro funktionsfähig machen. Aber ich akzeptiere die Aussage der Politiker nicht, entweder seid ihr für den Kurs, den wir einschlagen, oder ihr seid gegen den Euro. Das erinnert mich an die DDR: Entweder seid Ihr für den Sozialismus oder für den Krieg.

Fällt in diese Kategorie die Feststellung der Kanzlerin, wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa?

Ich würde nicht ganz so hoch greifen wie Frau Merkel. Aber natürlich hat der Euro etwas Friedenstiftendes für Europa. Eine Preisgabe des Euro ginge nicht ohne erhebliche politische Lasten.

Fragen: Ralf Müller