Es muss Schluss sein

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn glaubt, dass es keine Alternative zum Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone gibt
Die Welt, 15.09.2011, Nr. 222, S. 10

Die Welt: Vor knapp einem Jahr fragte ich Sie, ob Sie die Einführung des Euro bereuten - und Sie sagten: "Wenn ich ehrlich bin, ja, aber jetzt haben wir ihn, und es gibt keine Alternative." Und heute?

Hans-Werner Sinn: Das Ja kommt noch etwas zögerlicher, aber ich glaube schon, dass der Euro zu retten ist. Weil die meisten Mitgliedsländer durchaus noch wettbewerbsfähig sind. Aber man muss sicher bei ein, zwei Ländern darüber nachdenken, ob sie dazugehören.

Wieso kann ein so kleines Land wie Griechenland überhaupt diese ganzen Eruptionen bewirken?

Griechenland ist ein Paradefall. Die Kapitalmärkte stellen sich in dieser Finanzkrise nur eine einzige Frage: Zahlt Deutschland oder zahlt es nicht? Und wenn Griechenland fallen gelassen wird, befürchtet man, dass Deutschland auch bei anderen Ländern nicht zahlen wird. Dann verlieren viele reiche Leute einen Teil ihres Vermögens. Das ist genau der Punkt. Es geht nur darum.

Soll Deutschland zahlen?

Es hat schon viel gezahlt. Langsam muss Schluss sein. Die Anleger müssen auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Griechenland ist nicht mit Dauertransfers geholfen. Sondern Griechenland muss wieder auf eigene Beine kommen.

Gibt es überhaupt noch Alternativen zum Ausscheiden aus der Euro-Zone?

Nein. Ich hab vor einem Jahr schon gesagt, dass es das kleinere Übel ist, wenn Griechenland austritt. Sein Problem sind ja nicht nur die Schulden. Das wirkliche Problem ist die fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Und da gibt es nur drei Möglichkeiten. Entweder finanziert man Griechenland dauerhaft. Der Konsum dieses Landes liegt um 17 Prozent über dem Nationaleinkommen! Ich glaube nicht, dass die Staatengemeinschaft das will und dass sie das tun sollte. Und ich glaube auch nicht, dass das gut ist für Griechenland. Die zweite Möglichkeit ist, Griechenland wertet im Euro-Raum ab, indem es die Löhne und Preise um 20 bis 30 Prozent kürzt. Aber das gibt ein Hauen und Stechen, das treibt das Land an den Rand des Bürgerkriegs.

Bleibt drittens, Sanierung außerhalb des Euro-Raums.

Genau. Man geht temporär in die Drachme und wertet dann ab. So wird Griechenland sehr schnell wieder wettbewerbsfähig. Natürlich sind Probleme damit verbunden. Tritt das Land aus, gibt's sofort einen Bank-Run. Dann verbrennen die Bankbilanzen. Aber wenn es drin bleibt und im gleichen Umfang abwertet, dann brennen auch noch die Bankgebäude. Das ist der Unterschied.

Die Politik hat Angst, das zu tun, was man mit ökonomischem Sachverstand tun müsste, oder? Philipp Rösler verursacht mit seinem Insolvenz-Vorstoß ja fast eine Regierungskrise.

Die Politik hat Angst vor diesen Maßnahmen, weil sie bei den Kapitalanlegern Unruhe schürt. Der Vergleich mit Lehman, der manchmal bemüht wird, ist aber falsch. Der Zusammenbruch des Interbankenmarktes ist wenig wahrscheinlich, weil alle Länder Gewehr bei Fuß stehen, ihre Banken zu retten. Die Programme, die nach Lehman eingerichtet wurden, stehen ja alle noch. Aber natürlich gibt es Turbulenzen. Die muss man hinnehmen. Mich würde es mehr beunruhigen, wenn die City of London, Wall Street und Paris glücklich über die deutschen Entscheidungen sind, denn je glücklicher sie sind, desto teurer wird die Rettung für uns. Die französischen Banken sind in Schwierigkeiten, was wir auch schon seit einem Jahr wissen. Das ist auch der tiefere Grund dafür, warum Frankreich gerne möchte, dass Deutschland diese Rettungspakete mitfinanziert. Aber die Franzosen müssen ihre Banken selber retten. Die müssen sie eben wenn nötig verstaatlichen. Und falls hierzulande Banken in Schwierigkeiten kommen, müssen wir sie auch verstaatlichen.

Viele sind ja verstaatlicht.

Das Problem deutscher Banken ist, dass sie alle total unkapitalisiert sind. Sie betreiben ihr Geschäft mit einer Prise von Eigenkapital, die nicht ausreicht, die Verluste zu decken, so dass sie sofort umfallen, wenn Verluste drohen. Also muss der Staat eingreifen. Das geht so nicht weiter. Die Banken haben den Staat praktisch immer im Griff. Man sollte aber nicht die Bank-Aktionäre retten, sondern nur die Banken selbst. Und das geht nur, indem der Staat im Tausch für seine Hilfe an die Banken Aktien bekommt. Mit anderen Worten, es kommt zu einer Teilverstaatlichung. Die habe ich schon im Herbst 2008 für notwendig erachtet, um das Bankensystem zu stabilisieren. Es ist aber nichts passiert.

Wie kommt es, dass Deutschland immer den Zahlaugust macht?

Es ist die Vergangenheit. Wäre die eine andere, wären wir England, hätten wir uns nie im Leben auf solch einen Unsinn einlassen müssen.

Wir erleben ein Europa, das nicht mehr so funktioniert wie in den Jahrzehnten zuvor. Das betrifft auch die EZB. Es ist, als wären alle Leinen los.

Die EZB hat das Maß des Vernünftigen überschritten, was die Rücktritte von Weber und Stark zeigen. Deutschland ist mit seinen Vertretern in der EZB isoliert. Ständig wird man überstimmt. Ich möchte mal Herrn Sarkozy erleben, geschähe ihm Ähnliches mit Frankreich! Die EZB, der EZB-Rat fasst Beschlüsse, die Vermögensrisiken in gigantischer Höhe für andere Länder bedeuten. Das ist Kreditpolitik, das ist keine Geldpolitik. Die EZB hat so durch ihre Mechanismen bewirkt, dass innerhalb von drei Jahren etwa 350 Milliarden Euro an Krediten verlagert wurden, die die Bundesbank nicht mehr dem deutschen Bankensystem, sondern auf dem Wege über die EZB den Bankensystemen von Griechenland, Irland, Portugal und Spanien gegeben hat. 60 Prozent des deutschen Kapitalexports sind in den letzten drei Jahren auf diese Weise über die Bundesbank geflossen. Und hinzu kommen die Rettungen, die damit zu tun haben, dass die nationalen Notenbanken gezwungen werden, jetzt Staatspapiere aufzukaufen. Das hatte ein Volumen von 130 Milliarden. Allein schon über die EZB sind bald 500 Milliarden Euro transferiert worden.

Welche Wohlstandsverluste kommen denn auf die Deutschen zu?

Wir haben bereits jetzt über 400 Milliarden Haftung übernommen, weil wir davon ausgehen müssen, dass die vier Krisenländer Griechenland, Irland, Portugal, Spanien letztlich nicht in der Lage sein werden, anderer Länder Lasten mit zu übernehmen. Wenn auch Italien ausfällt, ist die Haftung noch höher.

Sind Politiker eigentlich kompetent genug, die Lage einzuschätzen und entsprechend zu handeln?

Politiker wollen Zeit kaufen und stimmen deshalb immer größeren Rettungspaketen zu. Aber was heißt schon Zeit kaufen? Dass man seinen Nachfolgern und unseren Kindern ungelöste Probleme riesigen Ausmaßes überlässt. Es ist für mich unverständlich, dass Deutschland, das als großer Zahlmeister gebraucht wird, seit dem letzten Jahr alle zentralen Verhandlungspositionen aufgegeben hat. Der IWF ist weg. Die Konkursordnung ist weg. Diese Summen wurden astronomisch. Und was als Einmalmaßnahme tituliert wurde, wiederholte sich wieder und wieder. Das alles führt zu gar nichts.

Ein wenig schal kommt einem da der Spruch von der Krise als Chance in den Sinn. Glauben Sie, dass man aus dieser Krise tatsächlich lernen kann? Und wie erklärt man all das dem skeptischen Staatsbürger?

Vielleicht lernt man, aber nicht, indem man immer allem zustimmt. Wenn man zustimmt, wird es ein Fiasko. Dann werden praktisch alle deutschen Taschen, die zur Verfügung stehen, geleert, und wenn sie dann leer sind, bricht das ganze Konstrukt auseinander.

Sie sagten vor einem Jahr, es würde den Euro noch in zehn Jahren geben. Wer wird nicht mehr dabei sein?

Na ja, Griechenland wird nicht mehr dabei sein. Portugal vielleicht auch nicht. Ansonsten wird man sehen. Ich hoffe jedenfalls sehr, dass der Euro bleibt. Er hat aber nur mit harten Budgetbeschränkungen eine Chance.

Das Gespräch führte Andrea Seibel