Steuerpolitik im Zickzackkurs

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über die Mindeststeuer und die Wertzuwachssteuer
Interview mit Hans-Werner Sinn, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2002

Hans-Werner Sinn ist Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München und Experte für die Auswirkungen der Besteuerung auf Unternehmensinvestitionen und Kapitalmärkte.

Wie bewerten Sie die Steuerpläne der neuen Regierung?

Die Koalition verfolgt eine Steuerpolitik im Zickzackkurs. Vor zwei Jahren wagte sie eine mutige Steuerreform, um Investitionen anzukurbeln. Nun reißt sie mit Mindeststeuer und mit der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen das Ruder herum. Man muß der Bundesregierung aber zugute halten, daß die Körperschaftsteuerausfälle weit über das hinausgingen, was man erwartet hatte.

Was sind die Gründe dafür?

Seit 2001 hat der Bund die Kapitalgesellschaften bei der Körperschaftsteuer nicht besteuert, sondern "subventioniert". Im ersten Halbjahr 2002 erstattete er bei der Körperschaftsteuer netto 1,3 Milliarden Euro an die Unternehmen. Der Hauptgrund ist, daß die Unternehmen derzeit alte Eigenkapitaltöpfe durch neue ersetzen und dadurch Steuern sparen. Die Senkung der Körperschaftsteuersätze von 40 auf 25 Prozent schafft diese Möglichkeit, im Verbund mit der dem deutschen Steuerrecht eigenen Fiktion, daß bei einer Ausschüttung von Gewinnen zunächst die ehemals am höchsten belasteten Rücklagen zu verwenden sind.

Wie geht das?

Unternehmen können Gewinne, die vor 1999 mit 45 Prozent Steuer belastet worden waren, ausschütten und im gleichen Umfang neue Gewinne thesaurieren. Dabei werden sie mit einer Körperschaftsteuerminderung von netto 15 Prozent des Umschichtungsvolumens belohnt. Mit Eigenkapital, das 1999 und 2000 bei einem Steuersatz von 40 Prozent gebildet wurde, lassen sich immerhin noch 10 Prozent sparen. Gewinne, die durch alte Eigenkapitaltöpfe "durchgeschüttet" werden, werden so statt mit 25 Prozent nur mit 10 und 15 Prozent belastet.

Dem will die Bundesregierung mit der Mindeststeuer entgegenwirken ...

Richtig. Diese ist aber ein unpassendes Mittel. Den Mangel der Steuerreform können Sie steuertechnisch ganz leicht korrigieren, indem zunächst die am niedrigsten besteuerten Gewinne zur Ausschüttung kommen. Die Mindeststeuer aber belastet zusätzlich die Investitionen. Man will die Mindeststeuer offenbar so gestalten, daß stets mindestens die Hälfte der Körperschaftsteuer von 25 Prozent gezahlt wird. Der Steuervorteil aus dem "Durchschütten" neuer Gewinne durch alte Eigenkapitaltöpfe wird begrenzt. Da werden sich rechtliche Probleme zwischen dem neuen Halbeinkünfteverfahren und dem alten Anrechnungsverfahren ergeben, die man nur schwer in den Griff bekommen wird.

Wie aber belastet die Mindeststeuer das Wachstum?

Besonders problematisch ist, daß die Mindeststeuer auch die Möglichkeiten des Verlustvortrags begrenzt. Dadurch werden junge Unternehmen diskriminiert, die anfangs keine Gewinne machen, und Unternehmen, die, besonders riskante Projekte mit ungleichmäßigen Ertragströmen realisieren. Gerade von solchen Firmen gehen die stärksten Wachstums- und Innovationsimpulse aus. Deshalb ist die Mindeststeuer der falsche Weg ...

... wie auch die Aufhebung der Spekulationsfrist bei Veräußerungsgewinnen?

Ja. Es mag als harmlose Änderung erscheinen, daß Veräußerungsgewinne bei Aktien und anderen Wertpapieren künftig auch über die bisherige Spekulationsfrist von einem Jahr hinaus besteuert werden sollen. In Wahrheit aber handelt es sich um einen fundamentalen Systemwechsel. Es wird eine echte Wertzuwachssteuer eingeführt. Eine solche Steuer gab es in Deutschland bislang nicht, sieht man von der chinesischen Provinz Kiautschou ab, die zur Kaiserzeit als Schutzgebiet zum deutschen Reich gehörte.

Was ist an einer Wertzuwachssteuer schlecht?

Eine Wertzuwachssteuer ist keine Spekulationssteuer, sondern steuersystematisch eine persönliche Steuer auf einbehaltene Unternehmensgewinne. Einbehaltene Gewinne erhöhen als Investitionen künftige Gewinne und steigern so der Tendenz nach den Aktienwert. Wird dieser Wertzuwachs besteuert, werden die Aktionäre verstärkt auf eine Ausschüttung der Gewinne drängen. Nur noch mit besonders rentablen Projekten gelingt es dann dem Management, das Geld im Unternehmen zu halten. Das Investitionsvolumen schrumpft, das Wachstum verlangsamt sich. Wozu aber soll es gut sein, mit der Steuerreform 2000 erst die einbehaltenen Gewinne auf der Unternehmensebene zu entlasten und sie nun bei den Aktionärshaushalten zu belasten? Das ist Gas geben und Bremsen zugleich.

Das Gespräch führte Patrick Welter.
Foto Jan Roeder