Druck auf Löhne wird stärker

Interview mit Hans-Werner Sinn, Kurier, 03.07.2007, S. 20

Der renommierte deutsche Ökonom und Präsident des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Hans-Werner Sinn, spricht im KURIER-Exklusivinterview über die Aussichten für das Wirtschaftswachstum in Deutschland und Österreich sowie über die Unsinnigkeit von Mindestlöhnen und höherer Kapitalbesteuerung.

Kurier: Die Wirtschaft in Österreich und Deutschland wächst kräftig. Haben wir die Basis für einen lang anhaltenden Aufschwung ?
Sinn: Der Aufschwung dauert nun schon zwei Jahre. 2008 geb ich ihm auch noch und mit etwas Glück sogar 2009.

Welches Glück ?
Dass die weltweite Konjunktur nicht so schnell kaputt geht. Ich habe die Hoffnung, dass das so ist, weil die asiatischen Länder viel Schwung bringen. Deutschland und Österreich profitieren davon, dass diese Länder viele Investitionsgüter kaufen.

Reagiert die Wirtschaftspolitik in der aktuell guten Konjunktur richtig ?
Die deutsche Wirtschaftspolitik ist gut aufgestellt, indem sie restriktiv ist. Sie hat die Zeit genutzt, um das Budget zu konsolidieren.

Warum wachsen die Löhne trotz der starken Wirtschaftsentwicklung kaum ?
Diese Tendenz des geringen Lohnwachstums wird in Zukunft sogar noch weiter zunehmen. Die internationale Niedriglohnkonkurrenz drückt die Löhne, ihre Entwicklung hat sich vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt.

Sollte die Politik da nicht gegensteuern ?
Man kann nicht gegensteuern. Würde man das versuchen, würde man Arbeitslosigkeit erzeugen. Die Gewerkschaften haben wenig Gestaltungsspielraum.

Damit wird die Kluft zwischen Lohn- und Kapitaleinkommen größer ...
Die Gesellschaft teilt sich in Gewinner und Verlierer. Auf der einen Seite die Arbeiter, auf der anderen das Kapital und die Hochqualifizierten. Das ist ein sozialpolitisches Problem ersten Ranges.

Haben Sie eine Lösung dafür ?
Man kann versuchen, Arbeiter zu Miteigentümern zu machen. Das ist aber eine längerfristige Strategie. Zudem sollte man im Bereich der gering Qualifizierten Zuschüsse zum Lohn geben. Im heutigen System bezahlen wir Arbeitslose fürs Wegbleiben vom Arbeitsmarkt. So baut man hohe Lohnansprüche auf, die Arbeitslosigkeit erzeugen. Die bessere Alternative wäre, fürs Mitmachen am Arbeitsmarkt zu bezahlen.

In Österreich diskutieren wir eine Wiedereinführung der Vermögensteuer. Was halten Sie davon ?
Österreich ist bis jetzt ein Musterbeispiel für die gegenteilige Strategie: Mit geringer Kapitalbesteuerung wurde das Land attraktiv für internationales Kapital. Das hat Arbeitsplätze geschaffen und auch ein schnelleres Lohnwachstum erzeugt. Wenn man versucht, die Löhne durch politische Maßnahmen zu erhöhen oder Kapitaleinkünfte durch steuern zu beschneiden, wachsen die Löhne noch langsamer.

Haben nationale Regierungen in der globalen Welt überhaupt eine Chance, mit Kapitalbesteuerung die Kluft zwischen Lohn und Kapital zu verringern ?
Die Handlungsspielräume sind sehr eingeschränkt. Wenn ein Land versuchen würde, etwa eine Tobin-Steuer auf Kapitaltransaktionen einzuführen, würde das Kapital dieses Land einfach meiden. Und dass alle Länder der Welt sich auf diese Steuer einigten, ist wirklichkeitsfremd.

Das Interview führte Irmgard Kischko