„Die Kontrollgesetze für Banken sind lasch“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Mannheimer Morgen, 11.10.2008, S. 7

Börsen im freien Fall und Politiker auf der Suche nach Rettungsmöglichkeiten

MÜNCHEN/MANNHEIM. Der Präsident des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn mahnt in der Finanzkrise zur Ruhe. „Ich sehe überhaupt keinen Anlass für Panik“, sagte er.

Ist es nicht paradox, dass jetzt in der Finanzmarktkrise ausgerechnet die Privatwirtschaft nach dem Staat ruft?

Hans-Werner Sinn: Es ist in der Tat erstaunlich, wie Banken, die früher staatliche Einmischung abgelehnt haben, nun die Hilfe des Staates suchen. Es passt aber insofern zusammen, als die Strategie der angelsächsischen Investment-Banken immer gewesen ist, falls etwas schiefgeht, andere dafür aufkommen zu lassen.

Eine zweifelhafte Strategie, für die die Manager zur Rechenschaft gezogen werden müssten, oder nicht?

Sinn: Warum sollten Sie? Sie haben das getan, was die Aktionäre wollten, nämlich hohe Risiken eingehen, um mehr Geld zu verdienen. Sie haben sich sehr verantwortungsvoll gegenüber ihren Aktionären verhalten, leider nicht gegenüber der Gesellschaft. Trotzdem kann man nicht die Menschen kritisieren, sondern nur die Regeln, unter denen sie agieren.

Einen Herrn Funke, inzwischen Ex-Chef der Hypo Real Estate, der Anfang des Jahres noch behauptete, seine Bank gehe gestärkt aus der Krise hervor, trifft keine Schuld?

Sinn: Ich sehe nicht, wo Herr Funke einen Fehler gemacht haben soll. Er hat das Kreditportfolio der alten Hypobank, das voll von faulen Immobilienkrediten aus den neuen Bundesländern war, verwalten müssen. Es war immer klar, dass das eine äußerst gefährliche Sache war. Es ist nun einmal so, dass ein Unternehmen mit Risiken hantieren muss und dass dabei auch manches schiefgehen kann.

Schiefgehen ist für eine Krise dieses Ausmaßes etwas harmlos ausgedrückt.

Sinn: Das Problem liegt nicht bei der Hypo Real Estate, sondern bei den angelsächsischen Banken. Die Angelsachsen hatten ein System, in dem Risikobereitschaft höher bewertet wurde als Vorsicht. Die amerikanischen Hausbesitzer haben auch fleißig mitgezockt, weil sie für die aufgenommenen Gelder nicht mit ihrem Arbeitseinkommen haften mussten.

Finanzminister Peer Steinbrück will die Bonus- und Anreizsysteme der Banken reformieren, um zu vermeiden, dass Manager hohe Risiken eingehen.

Sinn: Es ist nicht Sache des Staates, sondern der Unternehmen, wie sie ihre Manager bezahlen. Das eigentliche Problem liegt tiefer. Wegen der Möglichkeiten, das Bankgeschäft mit minimalem Eigenkapital zu machen, verlangen die Aktionäre von ihren Managern übermäßig riskante Strategien mit extrem hohen Ertragsraten. Das Glücksrittertum wird durch einen fehlerhaften Rechtsrahmen des Bankgeschäfts induziert.

Was haben eigentlich die Kontrolleure in den staatlichen Bankenaufsichten die ganzen Jahre über gemacht – haben die das nicht durchschaut?

Sinn: Die Kontrolleure machen nicht die Gesetze, sondern sie kontrollieren die Banken im Rahmen der Gesetze. Und die sind viel zu lasch. Es gibt bei der Regulierung der Banken so etwas wie einen Laschheitswettbewerb zwischen den Ländern. Jeder sagt sich, wenn ich strikter bin, siedeln sich die Banken in anderen Ländern an. Das ist ein unguter Standortwettbewerb, hier müssten sich die Staaten besser koordinieren.

Fürchten Sie, dass die Deutschen die Panik erfasst und sie ihre Gelder von den Konten in Sicherheit bringen – und damit die Krise?

Sinn: Ich sehe überhaupt keinen Anlass für eine Panik. In unserem deutschen System haben wir eine vollkommene Einlagensicherung. Das übersehen viele. Bei allen Banksystemen – Privatbanken, Genossenschaftsbanken, Sparkassen – sind Einlagen unbegrenzt in jedem Einzelfall gesichert.