„Die Abwrackprämie ist pervers“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Passauer Neue Presse, 15.01.2009, S. 2

Im PNP-Interview lobt Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, das Konjunkturpaket II im Grundsatz - und kritisiert einige Details, etwa die Maßnahmen für die Autoindustrie, den Rettungsschirm für Firmen und die neuen Mindestlöhne.

Die deutsche Wirtschaft bricht ein. Im letzten Quartal 2008 gab es offenbar bereits ein Minus von bis zu zwei Prozent. Wird diese Jahr ein schwarzes Jahr?

Sinn: Die neuen Zahlen sind noch schlimmer, als was bislang vermutet worden war. 2009 wird ein äußerst schwieriges Jahr, die schärfste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Wir prognostizieren, dass die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 2,2 Prozent schrumpft, und zwar mit dem Konjunkturpaket der Bundesregierung, von dem wir für sich genommen für 2009 einen Wachstumseffekt von etwa 0,7 Prozent erwarten. Das wird sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Durch die vereinbarten Maßnahmen wird der Stellenabbau um etwa 250 000 kleiner werden als es sonst der Fall gewesen wäre, aber dennoch werden in einem Jahr etwa eine halbe Million zusätzlicher Arbeitsloser zu beklagen sein.

Ist das Paket ausgewogen, richtig und konsequent?

Sinn: Die Richtung stimmt im Großen und Ganzen. Wir haben eine keynesianische Krise, und die muss man mit keynesianischen Mitteln bekämpfen. Insofern einmal ein grundsätzliches Lob der Bundesregierung. Dass jetzt massiv in die öffentliche Infrastruktur investiert wird, ist konsequent. Hier liegt der wichtigste Hebel zur Stärkung der Wirtschaft. Die Bauinvestitionen werden nämlich zunächst einbrechen. Erst danach wird der Konsum folgen. Im Übrigen: Infrastrukturmaßnahmen haben auch langfristig positive Effekte für die Wirtschaft. Konsum vernichtet Güter, durch Investitionen werden Güter und Werte bewahrt.

Sind Maßnahmen in dem Paket verfehlt oder überflüssig?

Sinn: Nehmen Sie den Rettungsschirm für Firmen. Das ist äußerst problematisch. Natürlich gibt es Schwierigkeiten bei der Kreditversorgung von Großunternehmen. Aber ein neuer Rettungsschirm für Unternehmen ist darauf die falsche Antwort, denn es gibt keine staatliche Behörde, der man die Bonitätsprüfung für die auszureichenden Bürgschaften überlassen könnte. Die Kreditprüfung kann immer nur von den Banken selbst gemacht werden, die ihr eigenes Geld dabei riskieren. Wenn man sie durch staatliche Bürgschaften aushebelt, wird mit Sicherheit viel Geld versenkt werden.

Aber was machen wir, wenn die Banken keine Kredite vergeben wollen oder können?

Sinn: Der Staat sollte das Rettungspaket für die Banken nachbessern, das ja nicht angenommen wird, weil es strafbewehrt ist. Meines Erachtens muss der Staat die Banken zwingen, sich mehr Eigenkapital zu besorgen, ähnlich wie die Briten das tun, damit sie ihre Ausleihungen an die Firmen wieder erhöhen. Das nötige Eigenkapital muss den Banken entweder von privater Seite gegeben werden oder, wenn das nicht geht, aus dem Rettungsfonds kommen. Nur so kann die Gefahr einer Kreditklemme effektiv gebannt werden.

Wie beurteilen Sie die Maßnahmen zur Stärkung der Automobilindustrie?

Sinn: Ich halte die Abwrackprämie für pervers, weil sie Anreize setzt, ökonomische Werte zu vernichten. Es geht hier um Autos, die neun Jahre alt sind. Wo da die Ratio liegen soll, ist mir schleierhaft. Deutsche Autos sind nach neun Jahren noch lange keine Schrottkisten, die man vernichten muss. Und denken Sie nur an die Umweltbelastung, die bei der Produktion der neuen Autos entsteht. Für die Umwelt ist es vermutlich besser, wenn man die alten Autos weiter fährt, auch wenn sie etwas mehr Sprit als neue verbrauchen. Sollen die Deutschen jetzt etwa zu einer Wegwerf-Gesellschaft werden, nur um die Konjunktur zu stützen?

Sie loben die Investitionen in öffentliche Infrastruktur, die in dem Paket vorgesehen sind. Aber reichen die Entlastungen bei Steuern und Abgaben?

Sinn: Es sollen ja alle Tarifgrenzen um 400 Euro erhöht werden, um die schleichende Progression der letzten Jahre, also die automatischen, überproportionalen Steuererhöhungen zu korrigieren. Das ist besser als nichts. Indes ist die Maßnahme vom Grundsatz her nicht korrekt ausgestaltet, und sie reicht auch von der Größenordnung her nicht. Wenn der Staat sich nicht heimlich bereichern will, dann muss er den Tarif auf Räder stellen, also jedes Jahr sämtliche Grenzen zwischen den Tarifbereichen mit der Wachstumsrate des Sozialprodukts ansteigen lassen. Genau dann wächst das Steueraufkommen genauso schnell wie die Wirtschaftsleistung, und nur dann bleibt die relative Struktur der Steuerbelastungen über die Bürger unverändert. An diese Regel hat sich der Staat nicht gehalten. Steuergelder machen offenbar sinnlich. Stattdessen steckt er immer neue Milliarden in den Gesundheitsfonds und bewegt sich damit immer weiter vom Äquivalenzprinzip fort.

Eine große Steuerreform rückt jedoch in weite Ferne, denn der Staat bricht für das Konjunkturpaket II alle Schuldenrekorde ...

Sinn: Konjunkturprogramme sind immer Schuldenprogramme. Sonst wirken sie nicht. Das für sich genommen sollte man nicht kritisieren.

Vorgesehen im Paket ist eine Mindestlohn-Regelung für die Zeitarbeit. Was spricht dagegen?

Sinn: Lohnuntergrenzen sind schädlich für den Arbeitsmarkt, weil sie diejenigen, die man schützen will, mit Arbeitslosigkeit bedrohen. In der Zeitarbeit haben wir in den letzten Jahren ein regelrechtes Jobwunder erlebt, weil Schröder die Lohnuntergrenzen, die es implizit in der Arbeitslosenhilfe gab, beseitigt hat. Jetzt wieder neue Lohngrenzen einzubauen, setzt das Erreichte aufs Spiel.

Interview: Rasmus Buchsteiner