„Eine längere Durststrecke“

Interview mit Hans-Werner Sinn, Börsenblatt, 19.02.2009, Nr. 8/2009, S. 12

Ab Herbst wird die Wirtschaftskrise auch den Einzelhandel spürbar treffen, sagt Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts.

Nicht alle Wirtschaftswissenschaftler sind der Ansicht, dass Deutschland in der Krise steckt. Was meinen Sie?

Doch, fast alle. Auf jeden Fall rutschen wir in eine tiefe Konjunkturkrise. Die Auftragseingänge der Industrie sind im freien Fall, die Wirtschaft schrumpft. Das sind Fakten. Die Menschen spüren das aber noch nicht am eigenen Leib, sondern lesen davon nur in der Zeitung. Das wird sich ändern, denn die Arbeitslosigkeit wird im Verlauf des Jahres erheblich steigen.

Der wirtschaftliche Einbruch ist also nicht nur Bestandteil eines langfristigen Wirtschaftszyklus?

Nein, es ist der schärfste Einbruch seit 1929. Der Auftragsbestand der Exportindustrie lag im Dezember um 32 Prozent unter Vorjahr - so etwas gab es noch nie. Mit dem normalen Ablauf eines Wirtschaftszyklus hat das nichts mehr zu tun. Die Weltwirtschaft steckt in einer tiefen Krise, und wir sind wegen unserer hohen Exportlastigkeit Teil des Geschehens.

Die Bundesregierung greift Unternehmen und Konsumenten mit Konjunkturpaketen unter die Arme. Macht das Sinn?

Im Prinzip sind solche Maßnahmen richtig. Allerdings darf man nicht zu viel erwarten. Deutschlands Konjunkturprobleme kommen von außen. Der Export geht zurück, da kann die Regierung nicht gegenhalten. Sie kann lediglich in anderen Teilen der Wirtschaft die Nachfrage beleben, etwa beim Konsum oder im Bauwesen. Aber dort gibt es derzeit noch keine Probleme.

Sind die Pakete nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Leider kann der Staat nicht zielgenau helfen. Die Unterstützung ist jedoch hoch genug, um positive Effekte zu erzielen. Die Schrumpfung verringert sich durch die Programme um 0,7 Prozent. So wird der Abschwung etwas abgefedert.

Die Unternehmen leiden unter der zögerlichen Kreditvergabe. Soll der Staat auch hier helfen?

Ja, indem er sich an den Banken beteiligt. Damit versetzt er sie in die Lage, ihre Ausleihungen aufrechtzuerhalten und verhindert die drohende Kreditklemme. Außerdem partizipiert er an den Dividenden und erzielt möglicherweise beim Verkauf seiner Anteile einen Gewinn.

Wann kommt die Krise im Einzelhandel an?

Wahrscheinlich im Herbst. Das nächste Weihnachtsgeschäft werden die Händler abschreiben können.

Und wann kommt Deutschland wieder aus der Krise?

Den Höhepunkt der Krise im Sinne eines Minimums des Auslastungsgrads der Firmen sehe ich für 2010 oder sogar noch später. Wir sollten uns auf eine längere Durststrecke einstellen, csch