«Ohne Wettbewerbsfähigkeit zerbricht der Euro»

Interview mit Hans-Werner Sinn, Finanz und Wirtschaft, 13.06.2012, Nr. 47, S. 20

HANS-WERNER SINN - Der Präsident des ifo Instituts sieht noch keine Reformen in der Eurozon

Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung der Universität München, sprach an der Jahrestagung Portfoliomanagement des Uhlenbruch Verlags in Frankfurt mit «Finanz und Wirtschaft» über das Rettungspaket für Spaniens Banken.

Herr Sinn, sind die spanischen Banken tatsachlich das größte Problem der Währungsunion?

Nein, die wirkliche Schwierigkeit der Eurozone sind nicht die Banken, das ist ja nur aufgesetzt. Das wirkliche Problem ist die Wettbewerbsfähigkeit der Länder im Süden, die alle durch den billigen Kredit, die der Euro brachte, eine Blase erlebt haben. Das ließ die Preise weit über das wettbewerbsfähige Niveau steigen.

Besonders aus dem angelsächsischen Raum stammt der Vorschlag, die EZB müsse als Feuerwehr auftreten, um keine Unsicherheit auf den Markten mehr aufkommen zu lassen. Sie haben kein Verständnis dafür.

Die Unsicherheit kann nur beseitigt werden, wenn man bereit ist, den Anlegern ihre toxischen Papiere abzukaufen. Dann hat man selber den Schwarzen Peter. Ich finde eine Politik jedoch falsch, die nur auf die Beseitigung der Verunsicherung der Kapitalmärkte abzielt. Denn die Kehrseite ist ja die Belastung und Verunsicherung der deutschen Bürger, die dann anstelle der Anleger diese giftigen Papiere besitzen.

Basiert der Druck seitens Präsident Barack Obamas, der für Eurobonds plädiert, tatsachlich nur auf Partikularinteressen von Anlegern?

Ganz eindeutig. Es wird ein wahres Kesseltreiben der angelsächsischen Presse inszeniert. Das Magazin «The Economist» entwickelt sich zu einem Kampfblatt angelsächsischer Finanzanleger. Es besteht eindeutig der Wunsch, Deutschland so argumentativ niederzuknüppeln, dass es sich nichts anderes zu tun traut, als sein Portemonnaie zu öffnen.

Würde ein Ende der Hilfen nicht dazu führen, dass das Vertrauen der Aktienmärkte in die spanische Wirtschaft erschüttert würde?

Dann bräche einiges zusammen. Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Politik, einen Crash an den Aktienmärkten zu verhindern, indem sie aus Verlusten der Anleger Verluste der Steuerzahler macht. Frau Merkel ist verpflichtet, das Vermögen und den Wohlstand der Deutschen zu wahren. Dazu gehört es, das Portemonnaie gut zu bewachen, zumal die Politik des lockeren Geldes Europa bestimmt nicht hilft. Man kann das europäische Haus nicht erdbebenfest machen, wenn man den Stützpfeiler der No-Bail-out-Klausel, der ein Kernelement des Maastrichter Vertrags ist, einreißt.

Muss der Gedanke des Maastrichter Vertrags, dass es keine Kollektivhaftung gibt, wiederbelebt werden?

Ja. Wir sehen jetzt natürlich, dass dieser Gedanke sehr naiv war, denn die politische Kräfte obsiegen über die rechtlichen Formulierungen. Und wenn das so ist, sollten solche rechtlichen Formulierungen gar nicht erst eingegangen werden. Deutschland hat den Fehler gemacht, sich auf rechtliche Versprechungen und Begrenzungen einzulassen. Und Deutschland begeht den gleichen Fehler wieder, in dem es dem Fiskalpakt vertraut. Wie die No-Bail-out-Klausel des Maastrichter Vertrags ist auch dieser Fiskalpakt nicht das Papier wert, auf dem er geschrieben steht.

Aber die Strukturreformen der spanischen oder portugiesischen Regierung zeigen doch, dass Anstrengungen in die richtige Richtung unternommen und auch Fortschritte gemacht werden?

Das sind großenteils nur kleinere Reformen. Die haben noch nicht zu einem Erfolg geführt. Der Erfolg misst sich am Rückgang der Preise in diesen Ländern. Wir brauchen Reformen und Sparmaßnahmen, die ein Land in die Stagnation zwingen, die groß genug sind, eine Preissenkung um 20% in Spanien relativ zu den anderen Euroländern herbeizuführen. Seit der Lehman-Krise sind die Preise in Relation zu den Wettbewerbern aber erst um I% gefallen. Damit sind wir der Lösung des Problems durch eine reale Abwertung noch keinen Schritt nähergekommen. Wenn die Reformen so zaghaft blieben und weiterhin Wachstumspolitik betrieben wird, die in Wahrheit Verschuldungspolitik ist, gibt es keinen Druck auf die Preise. Die Wettbewerbsfähigkeit würde dann nicht hergestellt und der Euro zerbrechen.

INTERVIEW: ALEXANDER TRENTIN