ifo Standpunkt Nr. 118: Basel III: Strenger und fairer

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 21. Oktober 2010

Die neuen Eigenkapitalregeln für Banken reduzieren die Diskriminierung des Mittelstands. Sie reichen aber zum Schutz vor neuen Krisen nicht aus. Was bedeutet die neue Bankenregulierung Basel III? Wird sie ausreichen, die nächste Krise zu vermeiden und die Fehlsteuerung der Kapitalströme zu unterbinden? Oder bremst sie die Wirtschaft durch hohe Kapitalkosten? Was steht uns bevor?

Beschlossen wurde ein Anstieg der Kernkapitalquote von vier auf sechs Prozent im Jahr 2015 – und weiter auf 8,5 Prozent im Jahr 2019. Zusätzlich soll eine bilanzielle Eigenkapitalschranke von drei Prozent erprobt werden, die einem Leverage-Faktor von 33 entspricht. Einige Banken müssen sich nun bewegen. Die Deutsche Bank etwa hatte vor der Krise nur eine bilanzielle Eigenkapitalquote von 1,9 Prozent. In Erwartung der neuen Regulierung hat sie ihr Bilanzvolumen, das im ersten Quartal 2008 noch bei 2,3 Billionen Euro lag, auf 1,5 Billionen Euro am Ende des vergangenen Jahres reduziert. Außerdem hat sie eine Kapitalerhöhung von gut 10 Milliarden Euro vorgenommen, wo- durch ihr Eigenkapital sich um ein Viertel vermehrte.

Solche Reaktionen sind zu begrüßen. Einerseits müssen sich die Banken jetzt einen größeren Puffer für schwierige Zeiten zulegen, der die systemischen Risiken verringert. Andererseits tragen die Bankaktionäre nun einen größeren Teil des Konkursrisikos und werden die von ihnen angestellten Bankmanager veranlassen, vorsichtigere Geschäftsmodelle zu wählen.

Die neuen Regeln reichen aber keinesfalls aus. Basel III ist strenger als Basel II – aber noch nicht streng genug. In der Finanzkrise haben viele Banken weit größere Verluste gehabt, als jetzt als Puffer eingefordert wird. So hatte bis Jahresanfang 2010 die Citigroup etwa sechs Prozent, Wachovia 13 Prozent, Merril Lynch knapp sechs Prozent, Washington Mutual 14 Prozent, die Bank of America fünf Prozent und Wells Fargo knapp acht Prozent ihrer 2007 vorhandenen Bilanzsumme durch Abschreibungen auf toxische Finanzprodukte verloren. Für das gesamte US-amerikanische Bankensystem lagen die Abschreibungen bei 4,7 Prozent der aggregierten Bilanzsumme. In Europa haben die britische HBOS und die Bayerische Landesbank etwa drei Prozent ihrer ursprünglichen Bilanzsumme verloren, bei der IKB fiel sogar ein Verlust von 19 Prozent an. Selbst die UBS verlor 2,7 Prozent – 0,8 Prozentpunkte mehr als sie überhaupt an Eigenkapital hatte. Bei neun internationalen Großbanken lagen die Abschreibungen auf toxische Finanzforderungen über dem Wert des vor der Krise vorhandenen Eigenkapitals.

Manche Kommentatoren fürchten, dass schärfere Eigenkapitalregeln den Volkswirtschaften schaden, weil sie die Kredite verteuern. Diese Furcht ist unbegründet. Zum einen werden sich die Kreditgeber der Banken nach einer Verschärfung der Eigenkapitalregulierung mit niedrigeren Zinsen begnügen, weil sie nun ein kleineres Risiko tragen. Zum anderen wäre eine dennoch verbleibende Erhöhung der Kreditzinsen nicht schädlich, sondern nützlich. Denn sie hätte ihre Ursache darin, dass es den Banken schwerer fällt, ihre Verluste im Krisenfall auf die Steuerzahler abzuwälzen. Wenn sich etwas verteuert, weil eine negative Externalität internalisiert wird, ist das nie ein Nachteil für die Wirtschaft.

Es ist aber nicht zu vermuten, dass die Zinsen der Wirtschaft per saldo steigen. Entlastend wirkt, dass mit der Einführung einer bilanziellen Eigenkapitalquote ein wesentlicher Konstruktionsfehler des Basel-Systems abgemildert wird. Dieser Fehler lag in der willkürlichen Festlegung der Gewichtsfaktoren für die risikogewichteten Aktiva, an denen sich die Kernkapitalquote ausrichtet. Die Banken benötigten selbst für Kredite an gut geführte Mittelständler eine zweieinhalbmal so große Eigenkapitalsumme wie für den Kauf strukturierter US-Wertpapiere oder Kredite an andere Banken. Für Staatskredite und Offshore-Geschäfte in Zweckgesellschaften benötigten sie gar kein Eigenkapital, weil die Risikogewichte null waren. Dieser Umstand hat nicht unerheblich zur Krise beigetragen, denn durch ihn wurden die Zinsen für den Mittelstand künstlich erhöht und die Zinsen für strukturierte Wertpapiere und Staatspapiere künstlich verbilligt. Der Mittelstand musste blechen, damit Irland, Portugal und Griechenland, aber auch die amerikanischen Investment-Banken billiger an das Geld der deutschen Sparer herankamen.

Das war nicht nur ungerecht, sondern auch gefährlich, weil es die Fehllenkung der Kapitalströme, die sich zur Finanzkrise auswuchs, verstärkte. Auch der Umstand, dass Deutschland in den vergangenen 15 Jahren die niedrigste Investitionsquote aller OECD-Länder hatte und seine meisten Ersparnisse exportierte, kann in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Basel III hat die Risikogewichte nicht geändert. Trotz einer kritischeren Bewertung der Staaten durch die Ratingagenturen erhalten die Kredite, die Banken an gefährdete Länder wie Italien, Irland, Spanien, Zypern oder Belgien ausreichen, noch immer keine Risikogewichte. Nur Kredite an Griechenland und Portugal werden wegen der massiven Abwertungen im Basel-System als Sonderrisiken behandelt. Gleichwohl zwingt nun die bilanzielle Eigenkapitalquote die Banken, auch für ihre Staatskredite Eigenkapital vorzuhalten. Dies hilft dem Mittelstand, denn die Staaten müssen künftig in erheblich stärkerem Umfang zur Finanzierung der Bankgewinne beitragen als bisher. Der Wettbewerb unter den Banken wird dazu führen, dass höheren Zinsen auf Staatspapiere niedrigere Zinsen bei Unternehmenskrediten gegenüberstehen. Endlich einmal ein Schritt in die richtige Richtung.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Strenger und fairer“, Wirtschaftswoche, Nr. 39, 27. September 2010, S. 45.