ifo Standpunkt Nr. 169: Der Grexit als Chance

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 9. Juli 2015

Es ist bedauerlich, dass Griechenland mit seinem Geld nicht haushalten konnte und nun in ein Chaos rutscht. Aber das war nicht mehr zu vermeiden, und es lässt sich auch nicht dauerhaft durch Kredite der Staatengemeinschaft auffangen.

Schon im Jahr 2012 hat das Land faktisch einen Staatskonkurs gehabt, den bis dato größten der Geschichte, mit Abschreibungen von 105 Milliarden Euro bei privaten Gläubigern und einem Schuldenmoratorium zulasten öffentlicher Gläubiger im Wert von 43 Milliarden Euro.

Seitdem ging es weiter bergab. Während die Wirtschaft schrumpfte, wuchsen die Auslandsschulden der griechischen Volkswirtschaft schneller als die Zinsen, die auf sie gezahlt werden mussten, weil Griechenland hohe Handelsbilanzdefizite hatte und offenkundig nicht wettbewerbsfähig war. Die Wettbewerbsfähigkeit war in der inflationären Kreditblase verloren gegangen, die der Euro dem Land gebracht hatte. Im Euro-Verbund entstanden eine Gesamtarbeitslosenquote von zuletzt 25 Prozent und eine Jugendarbeitslosenquote von 50 Prozent. Die 330 Milliarden Euro oder 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die die Staatengemeinschaft Griechenland geliehen hat, haben daran nicht das Geringste geändert.

So problematisch die Ereignisse in Griechenland auch sind: Ein ungewöhnliches Ereignis ist der Konkurs weder für Griechenland noch für die Weltgemeinschaft. Für Griechenland ist dies der sechste Konkurs in zwei Jahrhunderten und der zweite im Euro. Und die Weltgemeinschaft hat seit dem 2. Weltkrieg mehr als 180 solche Konkurse gesehen.

Konkurse haben, so schrecklich ihre Begleitumstände sind, auch etwas Befreiendes für den Schuldner, weil er damit zumindest einen Teil seiner Schulden loswird. Und wenn sie mit einer Abwertung verbunden werden, kann es sehr schnell wieder aufwärts gehen. Das jedenfalls zeigt die historische Erfahrung aus jenen nach 1980 realisierten 71 Währungskrisen, für die die Datenlage eine Untersuchung zuließ. Nach dem Beginn der Abwertung mussten die Länder im Durchschnitt noch ein Jahr lang geringere Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts als im Vorkrisenzeitraum hinnehmen, bevor eine wirtschaftliche Erholung einsetzte. Das Vorkrisenwachstum wurde nach durchschnittlich zwei Jahren erreicht. Das hat im Jahr 2012 eine Studie des ifo Instituts festgestellt, und es folgt ebenso aus einer neueren Studie von Oxford Economics aus diesem Jahr. Selbst Argentinien kam schnell wieder auf den grünen Zweig.

Es stehen viele unhaltbare Behauptungen dazu im Raum, wie problematisch doch ein Grexit verlaufen würde. Zu ihnen gehört die Aussage, das Land werde schweren Schaden nehmen, weil es danach vom Kapitalmarkt abgeschnitten sei. Diese Aussage übersieht nicht nur, dass die Trennung vom Kapitalmarkt durch den Konkurs statt durch den Austritt geschieht, sondern auch, dass Griechenland den Kapitalmarkt nach einem Austritt vorläufig nicht mehr braucht. Zum einen erwirtschaftet der Staat nach griechischen Angaben schon wieder einen Primärüberschuss, zum anderen wird das Defizit im Außenhandel nach einer Abwertung verschwinden. Wenn Griechenland keine Zinsen und Tilgung mehr an den Rest der Welt zahlt, braucht es nach einer Abwertung auch keine neuen Kredite mehr.

Eine andere unhaltbare Behauptung lautet, dass die griechische Wirtschaft von einer Abwertung nichts hätte, weil sie kaum etwas exportiert. Erstens stimmt es nicht. Touristische Dienstleistungen und Baustoffe spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Zweitens liegt der Hauptvorteil der Abwertung darin, dass die griechischen Bürger sich nun wieder den heimischen Herstellern zuwenden, weil Importware zu teuer wird. Das wird die Wirtschaft wieder beleben, insbesondere auch die Landwirtschaft, die derzeit darunter leidet, dass das Land ein Viertel mehr landwirtschaftliche Produkte importiert als exportiert.

Auch die Befürchtung, der Austritt würde zu einer Kapitalflucht führen, ist das Gegenteil der Wahrheit. Natürlich gibt es die Kapitalflucht nur vor der Abwertung, aus Furcht vor dem damit verbundenen Vermögensverlust. Wenn die Abwertung bereits stattgefunden hat, tritt der gegenteilige Effekt ein. Das Kapital kommt zurück und geht auf Schnäppchenjagd. Viel Bautätigkeit wird sich nach dem Erwerb der billig gewordenen Immobilien entfalten.

So gesehen ist die Angst vor dem Grexit unbegründet. Während der Konkurs für Chaos sorgt, bietet der Austritt die Chance, das Chaos zu überwinden.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen als “Der Grexit als Chance”, Handelsblatt, 30. Juni 2015, S. 48; sowie als “Why 'Grexit' Could Be Good for Greece”, CNN Money, 7. Juli 2015.