Kein leiser Abschied des Professors

von Thomas Magenheim-Hörmann, badische-zeitung.de, 15. Dezember 2015

Er hat seinen Trabi geliebt und war einmal ein Linker. Hans-Werner Sinn, Deutschlands bekanntester und wohl auch streitbarster Wirtschaftsprofessor, verlässt die Bühne.

Im Umfeld der Münchner Universität ist wie für einen Popstar plakatiert. Angekündigt wird ein "Rückblick auf ein halbes Jahrhundert", was so etwas wie ein "Best of" erwarten lässt. Es brodelt in der großen Uni-Aula, die mit gut 700 Leuten bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Live übertragen wird nicht nur in einen weiteren Hörsaal sondern auch per Internet in die ganze Welt.

Wer jetzt gleich die Bühne erklimmt, ist ein Künstler der besonderen Art. Hans-Werner Sinn polarisiert. Für die einen ist er Deutschlands klügster Professor, für andere ein Donald Trump der Ökonomie. Im zeitgenössischen Urteil schwankt der 67-jährige zwischen Professor Unsinn und Hochschullehrer des Jahres 2015. Mit einer Abschiedsvorlesung tritt Deutschlands streitbarster Ökonom nicht gerade leise ab. Leicht gemacht hat es der Dozent, der seit 17 Jahren an der Spitze des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung steht, selten jemandem. Er bleibt sich treu. "Ich werde Sie strapazieren müssen", warnt der Professor mit dem markanten Bart die Zuhörer vor.

Was folgt, ist ein Crashkurs durch 54 Jahre deutsche Wirtschaftsgeschichte durchsetzt mit seltenen Einblicken in das Leben eines Mannes, der einmal ein Linker war. Damals als Student in den 60er Jahren bei der sozialistischen Jugendorganisation "die Falken" im französischen Zeltlager oder dem sozialdemokratischen Hochschulbund. Einer Zeit, die nicht die der freien Liebe war, sondern eher eine der zu ernsthaften Diskussionen, wie Sinn im Rückblick betont. Als 13-jähriger war er persönlich dabei, als Mitte August 1961 in Berlin die Mauer hochgezogen wurde. Tags zuvor noch auf Ostbesuch bei Tante Lieschen durch das Brandenburger Tor gefahren. "Als wir zurückkamen, war das Tor zu", erzählt Sinn. Jahre später auf Ostbesuch bei Onkel Günter im Erzgebirge will er das Ende der DDR vorausgeahnt haben.

Geahnt und auch vorausgesagt hat Sinn in seiner Karriere vieles. Nicht alles hat sich bewahrheitet – der Verlust von Arbeitsplätzen in Folge des Mindestlohns beispielsweise. Nur eine Frage der Zeit, kontert der gebürtige Westfale. Den Glauben an einen sozialistisch angehauchten Weg der Wirtschaftspolitik hat Sinn an der Mannheimer Uni zwischen 1967 und 1972 verloren. Die deutsche Politik hat damals unter Führung der SPD auf den Sozialstaat gebaut. "Nicht nur China hatte eine Kulturrevolution", sagt der geläuterte Linke heute darüber. Der Einstieg in den Schuldenstaat sei das gewesen.

Später habe das deutsche Beispiel den heutigen südeuropäischen Krisenländern den Weg in den Euro geebnet. "Damit nahm das Unglück seinen Lauf", doziert Sinn düster im Stil eines allwissenden Orakels. Warum er bezweifelt, dass die Euro-Rettungspolitik zu einem guten Ende führt? Weil alles schon mal da gewesen ist, und auch früher schief gelaufen ist – bei der deutschen Wiedervereinigung. Damals die Geburt der innerdeutschen Transferökonomie, heute EU-weite Exzesse. Drei Viertel aller DDR- Industriearbeitsplätze seien vernichtet worden und heute bringe man die griechische Wirtschaft mit immer neuen Rettungsmilliarden auch nicht auf die Beine.

Dennoch hat Sinn an die Wiedervereinigung auch glückliche Erinnerungen. "Ich habe einen Trabi gekauft für 1000 Mark und ihn geliebt", gesteht er. Aber eine Volkswirtschaft könne man nicht durch Geldtransfers produktiv machen, sondern so nur jede produktive Basis zerstören. Ausgestanden sei die Euro-Krise deshalb noch lange nicht, orakelt Sinn. Mit neuen Bankenpleiten in Italien, die Angst vor einem Flächenbrand schüren, zeige sie gerade wieder ihr Gesicht.

Und Deutschland? Berauscht sich am eigenen wirtschaftlichen Erfolg, einen neuerlichen Kater provozierend. Mit Mindestlohn und Rente mit 63, mit unkoordinierter Energiewende und chaotischer Flüchtlingspolitik sowie einem Haftungsrisiko zur Euro-Rettung von 260 Milliarden Euro. Sinn geht polternd. Er ist Volkswirt und die hätten dem Volk zu dienen, nicht Politikern, sagt er. Ende März wird sich der dann 68-jährige als Ifo-Chef vollends in den Ruhestand verabschieden. "Ich werde versuchen, mich nicht mehr tagesaktuell zu äußern", sagt er. Es dürfte ein hartes Ringen werden.

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