Griechenland? Spanien? Auch Finnland steckt in der Krise

Der finnischen Wirtschaft geht es schlecht. Es mehren sich die Stimmen in dem Land, die einen Austritt aus dem Euro befürworten.
Hans-Werner Sinn

Wirtschaftswoche, 08.07.2016, S. 35

Der Brexit hat den eurokritischen Stimmen in Frankreich, Italien und den Niederlanden Auftrieb gegeben. Doch nicht nur dort gärt es. Auch in Finnland wächst die Skepsis gegenüber dem Euro, was in den nächsten Monaten zu einer breiten öffentlichen Diskussion führen könnte. Dem Land geht es derzeit sehr schlecht, und die Menschen erinnern sich noch gut daran, wie sie die Krise Anfang der Neunzigerjahre mit der Abwertung ihrer Währung überwanden.

Finnland leidet heute unter drei Problemen: dem Einbruch bei Nokia, dem Rückgang des Papierabsatzes aufgrund der Digitalisierung und der Sanktionspolitik der EU gegenüber Russland, die den Absatz finnischer Nahrungsmittel im Nachbarland beeinträchtigt hat. Die Krise der finnischen Wirtschaft ist noch nicht ganz so gravierend wie die Krise nach dem Untergang der Sowjetunion Anfang der Neunzigerjahre, aber doch ähnlich. Damals brach die Wirtschaftsleistung in zwei Jahren um neun Prozent ein, die Produktion des verarbeitenden Gewerbes ging um 15 Prozent zurück. Heute unterschreitet das Bruttoinlandsprodukt (BIP) das Vorkrisenniveau von Ende 2007 zwar nur um 5,5 Prozent, doch die Produktion des verarbeitenden Gewerbes liegt um 20 Prozent niedriger.

Das sind Werte, wie man sie nur aus Südeuropa und Frankreich kennt. So liegen die spanische und griechische Industrieproduktion um 25 beziehungsweise 24 Prozent unter dem Vorkrisenniveau, die italienische um 22 Prozent, die französische um 13 und die portugiesische um 12 Prozent.

Nur die Arbeitslosenquote ist in Finnland weniger bedrohlich als anderswo. Sie liegt bei "nur" neun Prozent. Sie ist damit indes den Werten in Frankreich (zehn Prozent) und Italien (11,5 Prozent) näher als dem in Deutschland (vier Prozent).

Finnland hat die Zunahme der Arbeitslosigkeit und die Abnahme des BIPs durch eine höhere Staatstätigkeit bekämpft. Während die Staatsquote im Jahr 2007 noch bei 47 Prozent lag, ist sie inzwischen auf 58 Prozent gestiegen. Das ist der höchste Wert aller OECD-Länder. Die so entstandene Zusatzbeschäftigung steigert zwar rechnerisch das Sozialprodukt, weil die staatlichen Löhne mangels einer Marktbewertung der staatlichen Leistungen als Wertschöpfung angesehen werden. Doch wettbewerbliche Leistung verkörpern sie nicht.

Von 1991 bis 1993 hatte Finnland seine damalige Währung Markka um 30 Prozent gegenüber der D-Mark abgewertet und sich so aus der Krise befreit. Zwar fürchteten die Banken damals, dass ihnen die Höherbewertung der Auslandsschulden die Bilanzen verhageln würde. Doch nach der Freigabe des Wechselkurses setzte ein wahres Wirtschaftswunder ein. In nur vier Jahren (vom Tiefpunkt 1993 bis 1997) stieg das reale BIP um 19 Prozent, die Industrieproduktion um 40 Prozent. Das Geschäft der Banken belebte sich, ihre Bilanzsorgen verflogen im Nu.

Angesichts dieser Erfahrungen fragen sich heute viele Menschen in Finnland, warum ihr Land in der Euro-Zone verbleiben soll, wenn seine Wirtschaft durch eine Rückkehr zur nationalen Währung und Abwertung rasch wieder auf die Beine kommen könnte.

Noch versuchen es die Finnen mit einer realen Abwertung im Euro-Raum. So haben die Tarifpartner ein Lohnmoratorium vereinbart, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Doch kann eine solche Maßnahme erst im Laufe vieler Jahre Linderung bringen, wie das lange Siechtum der südeuropäischen Länder gezeigt hat.

Es könnte sein, dass Finnland nicht so lange wartet. Ein Verzicht auf die Euro-Druckerpresse wäre für das Land weniger schmerzlich als für Griechenland, Italien oder Spanien, weil sich Finnland dieser Presse nicht überproportional bedient. Im Euro-Zahlungsverkehrssystem Target hat Finnland sogar Nettoforderungen aufgebaut. Das meiste Geld (71 Prozent), das die finnische Zentralbank emittiert hat, hat sie geschaffen, um Überweisungsaufträge aus dem Ausland auszuführen. Die Target-Forderungen der finnischen Notenbank liegen bei 35 Prozent des BIPs - beinahe auf dem Rekordniveau von 2012. Wenn das Land den Austritt ankündigt, werden diese Nettoforderungen vermutlich aufgrund von Kapitalflucht bis zum Austrittstag rasch verschwinden. Das Land hätte also die Chance, relativ verlustfrei aus dem Euro auszusteigen. Daher sollte man die Diskussion in Finnland sorgfältig verfolgen.

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