Was uns die Corona-Krise über Klimapolitik lehrt

Hans-Werner Sinn

Münchner Merkur (ref. Project Syndicate, 14. Juni 2023), 21. Juni 2023.

München – Die Welt ist sich nicht einig, wie sie gegen das Klimaproblem vorgehen soll. Einige Länder, allen voran die EU-Länder, setzen mit großer Rigorosität Verbote von fossilen Brennstoffen um und reduzieren ihren CO2-Ausstoß. Die meisten anderen Länder machen demgegenüber wenig bis nichts. Dazu gehören jene 138 Länder des Pariser Abkommens, die sich zu keinen konkreten Einschränkungen verpflichtet haben und für zwei Drittel des weltweiten CO2-Ausstoßes stehen.

Die große Frage ist, ob die unilateralen (nur von einer Seite ausgehend, Anm. der Red.) Maßnahmen der im Klimaschutz aktiven Länder wenigstens ein bisschen bewirken oder ob sie gar von den anderen Ländern, denen der Klimaschutz egal zu sein scheint, konterkariert werden. Seit Kurzem wissen wir die vermutliche Antwort auf diese Frage, und dieses Wissen verdanken wir der Covid-Krise. Covid ist ein natürliches Experiment der Geschichte, das es erlaubt, über die Sinnhaftigkeit des klimapolitischen Unilateralismus ein empirisch begründetes Urteil zu fällen. Ob unilaterale Einsparmaßnahmen der Nachfrager nach fossilen Brennstoffen für das Klima etwas bringen, hängt allein davon ab, wie die weltweiten Anbieter solcher Brennstoffe auf unilaterale Nachfrageeinschränkungen reagieren. Nur dann, wenn sie weniger extrahieren, wird auch weniger verbrannt, denn alles, was aus der Erde herauskommt, wird irgendwo verbrannt und gelangt dann in die Atmosphäre. Und was nicht extrahiert wird, kann auch nicht verbrannt werden.

Das ist die fundamentale Regel der Klimapolitik, an der auch die gutwilligsten Grünen dieser Welt nicht vorbeikommen: Die Macht über das Klima liegt allein bei den Eigentümern der fossilen Ressourcen und den Regierungen, die sie kontrollieren.

Man könnte erwidern, dass menschengemachte Lagerstätten für Brennstoffe sowie auch Methoden zur Sequestrierung von verflüssigtem CO2 Abweichungen von dieser Regel implizieren. Das ist zwar theoretisch richtig, doch vorläufig ohne jede quantitative Bedeutung. Die Industrieländer, die ihre Waren an die Konsumenten der Welt liefern, haben es nur dann wirklich in der Hand, die CO2-Belastung der Atmosphäre zu senken, wenn sie selbst über Lagerstätten fossiler Brennstoffe verfügen, die sie versiegeln können.

Das gilt zum Beispiel für die USA, China oder Kanada, auf deren Territorium ausgedehnte Kohlevorkommen und Ölreserven liegen, deren Extraktion sie jederzeit stoppen könnten, wenn sie es wollten. Es gilt auch für jene Länder der EU, die über signifikante Braunkohle- oder Steinkohlereserven verfügen wie etwa Deutschland, Polen und die Tschechische Republik. Wenn hingegen die grün denkenden Industrieländer statt ihres eigenen Ressourcenangebots bloß ihre Nachfrage nach Brennstoffen reduzieren, indem sie einen Deindustrialisierungsprozess einleiten oder auf grüne Energien setzen, dann besteht die Gefahr, dass jene Mengen an fossilen Brennstoffen, die sie nicht mehr verbrauchen, in andere Länder verkauft werden, die sie stattdessen verbrennen.

Diese Gefahr besteht zwar nicht bei der Braunkohle, weil sie schwer zu transportieren ist und deshalb international nicht gehandelt wird, doch sehr wohl bei den anderen Brennstoffen, allen voran dem Öl, auf das sich die Einsparmaßnahmen der Europäer konzentrieren.

Der Mechanismus, durch den die Verlagerung passieren kann, liegt in der Preisanpassung auf dem Ölmarkt. Wenn die grünen Verbraucher weniger Öl verbrennen, fällt der Weltmarktpreis – und bei fallendem Preis kaufen andere Verbraucher mehr. Zumindest ein Teil der Nachfrageeinschränkung der „grünen“ Verbraucher könnte auf diese Weise kompensiert werden.

Wie viel kompensiert wird, hängt allein vom Verhalten der Ölproduzenten nach einer Preissenkung ab. Vielleicht verkaufen sie weniger, weil marginale Lagerstätten unrentabel werden. Vielleicht verkaufen sie genau so viel, weil die Nutzungsgebühren (Royalties oder User costs) marginaler Lagerstätten selbst mit dem Marktpreis fallen. Vielleicht verkaufen sie mehr, weil sie noch größere Nachfrageeinschränkungen in der Zukunft erwarten (grünes Paradoxon). Vielleicht verkaufen sie auch bloß deshalb mehr, weil sie von der Hand in den Mund leben und den Preisverfall durch einen Mehrabsatz ausgleichen, um ihren Hofstaat finanzieren zu können.

In den beiden zuletzt genannten Fällen würde eine Einschränkung der Nachfrage nach Öl sogar zu einer Beschleunigung des Klimawandels führen. Die ökonomische Literatur ist sich unschlüssig darüber, welche Konstellation am ehesten zutrifft. Umso wichtiger ist die empirische Analyse, und die ist zumindest beim Erdöl, das im Zentrum der Einsparversuche vieler Länder steht, überraschend eindeutig.

Das Verbrenner-Aus ist sogar kontraproduktiv

Vom Ende der zweiten Ölkrise bis zum Beginn der Covid-Krise, also vom Jahr 1982 bis zum Jahr 2020, also fast vier Jahrzehnte lang, folgt die Welt-Ölproduktion einem linearen, leicht ansteigenden Trend mit minimalen, kaum sichtbaren Variationen der Extraktionsmengen. Gleichzeitig waren die Preise extrem volatil und schwankten wild hin und her. Am unteren Rand wurden Preise von 10 US-Dollar pro Barrel notiert und am oberen Rand Preise von bis zu 130 Dollar.

Wenn irgendwo auf der Welt eine Wirtschaftsflaute die Nachfrage nach Öl einbrechen ließ, fielen die Preise. Zu fallenden Preisen kauften andere Verbraucher entsprechend mehr. Und wenn irgendwo ein Wirtschaftsboom zu einer Nachfragesteigerung führte, schossen die Preise in den Himmel, und andere Verbraucher schränkten ihre Nachfrage gerade in dem Umfang ein, wie es nötig war, um die steigende Nachfrage der boomenden Länder zu befriedigen. Die Ölanbieter hingegen reagierten nicht. Sie verfolgten in ihrer Summe eine rigide Angebotsstrategie, die sich durch Preisschwankungen nicht beirren ließ. Das änderte sich erst, als die Covid-Krise ausbrach. Als Reaktion auf die Krise fielen zunächst die Ölpreise, weil überall auf der Welt die Räder der Industrie wegen der Lockdowns und Quarantänemaßnahmen zum Stillstand kamen. Um zu verhindern, dass die Preise ins Bodenlose fallen, reagierte die OPEC erstmals seit fast vier Jahrzehnten mit einer Reduktion der verkauften Mengen.

Der gewünschte Effekt stellte sich alsbald ein, denn die Preise stiegen sofort wieder und schossen dabei sogar über das anfängliche Niveau hinaus. Mit dem absehbaren Ende der Covid-Krise normalisierten sich die Preise und die Angebotsmengen allmählich wieder. Letztere liegen nun wieder auf dem alten Trend. Die Lehre aus dem „natürlichen Experiment“, das die Covid-Krise bedeutete, ist eindeutig: Wenn nur Teile der Welt die Nachfrage nach Brennstoffen einschränken, reagieren die Ressourcenländer nicht, weil andere Teile der Welt zu fallenden Preisen bereitstehen, die freigegebenen Mengen zu absorbieren. Der Klimawandel setzt sich ungemindert fort. Wenn es aber gelingt, den großen Klimaclub zu gründen, bei dem die relevanten Länder gemeinsam die Nachfrage einschränken, dann haben sie die OPEC in der Hand und können sie mangels Absatzalternativen zwingen, das Öl im Boden zu lassen.

Dieses Ergebnis, das bereits im letzten Jahr veröffentlicht wurde, stellt einige Weisheiten der weltweiten Klimapolitik auf den Kopf. So impliziert es, dass das europäische Verbrennerverbot bei den Pkw, das kürzlich von der EU beschlossen wurde, nicht nur klimapolitisch sinnlos ist. Es ist sogar kontraproduktiv, weil es die Menschen zwingt, Elektroautos zu kaufen. Die neuen Elektroautos verbrauchen Strom, der zu erheblichen Teilen auch durch den zusätzlichen Abbau heimischer Braunkohle produziert wird, die man sonst im Boden gelassen hätte. Elektroautos sind „Kohleautos“, während der EU-Verzicht auf die Verbrennungsmotoren CO2-neutral ist, weil er auf den Weltmärkten Brennstoffe freigibt, die anderswo zu fallenden Preisen verwendet werden.

Das Ergebnis impliziert auch, dass die Verbote von Ölheizungen, die die EU nun fordert und die in einigen Ländern der EU, allen voran Deutschland, mit missionarischem Eifer umgesetzt werden sollen, zu einer Erhöhung des weltweiten Ausstoßes an CO2 führen werden. Der Ersatz der Ölheizungen durch Wärmepumpen führt nämlich ebenfalls dazu, dass mehr Strom aus heimischer Braunkohle gewonnen wird, die sonst hätte versiegelt werden können, während das dabei auf den Weltmärkten freigegebene Öl anderswo verbrannt wird.

So frustrierend diese Ergebnisse für gesinnungsethisch agierende Politiker sein mögen: Der positive Aspekt ist, dass die Verbraucherländer nicht hoffnungslos ohnmächtig sind, denn mit vereinten Kräften können sie Ressourcenbesitzer sehr wohl zwingen, das Öl im Boden zu lassen. Dass die dafür notwendige weltweite Übereinkunft schwierig ist, liegt auf der Hand, insbesondere, wenn aus anderen Gründen die politischen Spannungen zunehmen und man nicht hoffen kann, dass China, das sich nicht zu Einsparungen verpflichtet hat, aus einem bloßen Solidaritätsgefühl heraus stillhalten und seine Verbraucher hindern wird, das von manchen westlichen Ländern zu fallenden Preisen freigegebene Öl zu kaufen.

Eine weltweite Friedensordnung ist die Grundvoraussetzung dafür, dass die Menschheit es schafft, die größte Externalität ihrer Geschichte durch gemeinsame politische Maßnahmen zu internalisieren.

Nachzulesen auf www.project-syndicate.org

Weitere Artikel dazu:
„Kein Alleingang in der Klimapolitik. Die Corona-Krise als natürliches Experiment zeigt, weshalb es ohne einen Klimaklub mit den grössten Ländern nicht geht, Neue Züricher Zeitung, 19. Februar 2022, S. 28.