Falsche Vergleiche

Ist Deutschland wirklich der große Euro-Gewinner?, fragt Hans-Werner Sinn.
Hans-Werner Sinn

Handelsblatt, 28. Februar 2019, S. 48.

Deutschland ist nach einer Studie von Matthias Kullas und Alessandro Gasparotti vom Centrum für Europäische Politik (CEP) der große Euro-Gewinner. Der Euro habe Deutschland von 1999 bis 2017 im Vergleich zu einer Kontrollgruppe von Ländern, die von 1980 bis 1996 ein ähnliches Wachstum hatten, einen akkumulierten Gewinn von knapp 1,9 Billionen Euro beschert. Zweifel an der Belastbarkeit dieser Ergebnisse sind angebracht.

Die Studie nimmt als Kontrollgruppe Deutschlands die Länder Bahrain, Japan, Schweiz und UK, weil dort im Durchschnitt der Jahre von 1980 bis 1996 ein ähnliches Pro-Kopf-Wachstum beobachtet wurde. Das geht aber nicht, weil Deutschlands Daten in der Mitte dieser Zeitspanne wegen der Wiedervereinigung einen Strukturbruch hatten.

Dass unser Land nach der Überwindung der Vereinigungsprobleme schneller wuchs als Bahrain, hat nichts mit dem Euro zu tun. Die Palette der möglichen Erklärungen reicht von Schröders Reformen über das Outsourcing und den Innovationsschub der Industrie bis zum Bauboom.

Aber natürlich hat die reale Abwertung, die Deutschland im Euro wegen der Inflation der anderen Länder erfuhr, über die Exporte auch das reale BIP wachsen lassen. Doch hat diese Abwertung Deutschland zugleich relativ ärmer gemacht. Ist in einer Währungsunion nicht eher das BIP zu Marktpreisen als ein künstlich zu festen historischen Preisen und Wechselkursen umgerechnetes BIP der relevante Vergleichsmaßstab?

Deutschlands nominales BIP pro Kopf lag 1996 hinter Luxemburg auf dem zweiten Rang der Länder, die heute den Euro haben. Dann stieg es in der schwierigen Anfangsphase des Euros bis 2005 auf den siebten Platz herab. Nach der Finanzkrise schlug sich Deutschland besser als andere Länder, und das BIP kletterte auf den sechsten Rang, wo es noch heute liegt. Die Daten eines Euro-Gewinners sehen anders aus.

Es kommt als Problem hinzu, dass die Exporte im BIP als Wohlstandsmaß gezählt werden, obwohl sie das erst dann sind, wenn sichergestellt ist, dass sie entweder sofort oder später barwertneutral in Importe verwandelt werden. Tatsächlich wurden die deutschen Exportüberschüsse nicht immer sinnvoll angelegt, sondern für windige Vermögenstitel im Ausland verwandt. Ein Teil dieser Titel bestand aus wertlosen Schuldscheinen meist amerikanischer Provenienz, deren Platzen dazu beitrug, dass Deutschland in seiner Bilanz des Nettoauslandsvermögens Hunderte von Milliarden Euro abschreiben musste.

Ein anderer Teil bestand aus Target-Buchforderungen der Bundesbank, die schon bis Ende 2017 bis auf über 900 Milliarden Euro angestiegen waren. Das war bald die Hälfte des gesamten nach den Abschreibungen noch vorhandenen deutschen Auslandsvermögens, das Deutschland durch Exportüberschüsse erwirtschaftet hatte.

Target-Forderungen sind offene Kreditforderungen, die die Bundesbank nie fällig stellen kann und nur zum Hauptrefinanzierungssatz verzinst werden. Sie stehen womöglich schon bald im Feuer, falls Italiens Lega ihre Austrittsdrohung wahr macht. Aber selbst wenn nichts Dramatisches passiert, sind sie ziemlich wertlos, weil ihr Zins derzeit null ist und wohl lange Zeit null bleiben wird. Eine private Firma müsste eine Forderung, die sie nie fällig stellen kann, die derzeit nicht verzinst wird und deren Zins später einmal aufgrund eines noch mit den Schuldnern herzustellenden Einvernehmens wieder höhere Werte annehmen könnte, in der Bilanz abschreiben.

In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Deutschland auf seinen riesigen rechnerischen Nettobestand an Auslandsvermögen generell nur noch mickrige Zinsen erzielte. Hätte Deutschland in der Zeit von 2008 bis 2017 noch die Ertragsraten auf dieses Nettoauslandsvermögen verdient, die es vor der Lehman-Krise verdiente, hätte es in diesen Jahren 600 Milliarden Euro mehr für den Konsum von Auslandsgütern zur Verfügung gehabt.

Bei den Autoren tauchen diese Aspekte nicht auf, weil die Erträge aus den Auslandsanlagen gar nicht Teil des Bruttoinlandsprodukts sind. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt sehen die Autoren als Wohlstandsmaß, obwohl es als in Deutschland verdientes Einkommen der Deutschen und Ausländer zuzüglich der Abschreibungen definiert ist. Hätten sie für ihren Vergleich das Nationaleinkommen verwendet, hätten sie die Verluste vielleicht erkannt.

Angesichts dieser Defizite kann man die Studie des CEP nur als unbrauchbar bezeichnen. Sie wird aber gebraucht werden, denn sie ist Wasser auf die Mühlen derer, die nun eine fiskalische Umverteilung im Euro-System fordern, um den vermeintlichen Euro-Profiteur Deutschland zur Kasse zu bitten.

Online erschienen als „Deutschland ist nicht der große Euro-Gewinner auf www.handelsblatt.com.