Die deutschen Autobauer im Spiel gegen die EU

Die Klimaregulierung der EU hat Stärken der deutschen Industrie zunichtegemacht. Der Ökonom Hans-Werner Sinn zeigt die Folgen der europäischen Planwirtschaft auf.
Hans-Werner Sinn

Weltwoche, Nr. 6, S. 27.

Die deutsche Autoindustrie ist schwer angeschlagen. Im Januar sank der Neuwagenabsatz in Westeuropa auf den tiefsten Punkt seit 1990. Aber nicht nur Corona setzt dem Autostandort Deutschland zu, sondern vor allem auch die EU-Umweltregulierung. Marktanalysten der Deutschen Bank spielen mit «Detroit lässt grüssen» gar auf den amerikanischen Rust Belt an. Nach der Einschätzung von Hans-Werner Sinn, Ökonomieprofessor und bis 2016 Präsident des ifo Instituts in München, ist die Autoindustrie als tragende Säule der deutschen Wirtschaft tatsächlich angeknackst. «Der Rückgang der Automobilproduktion ist schon seit dem Sommer 2018 beobachtbar, als die EU beim Flottenverbrauch die Daumenschrauben anlegte», sagt Sinn, «selbst wenn sie nach dem Corona-Einbruch auf den alten Trend zurückfndet, bedeutet das eine dramatische Verringerung der Absatzzahlen gegenüber früher.»

Trickreich für Elektroautos

Für Deutschland ist die Autoindustrie viel bedeutender als etwa für Frankreich, dessen Industrie auf einem langen Abstieg ist. «Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum die EU so energisch gegen Deutschland vorangegangen ist», fügt Sinn an. Was heisst das? Gemeint ist die Koalition von Interessengruppen, die den deutschen Autosektor via EU-Umweltregulierung in die Knie gezwungen hat.
Sinn: «Beteiligt waren einerseits die Grünen, die aus grundsätzlichen Erwägungen etwas gegen Verbrennungsmotoren haben, und anderseits die Konkurrenten aus Frankreich samt der französischen Atomlobby, die den Kurs in Richtung Elektroautos durch entsprechende EU-Vorgaben gestärkt wissen wollte.» Und die deutsche Umweltministerin habe aus grünem Grundverständnis heraus weitreichende Zugeständnisse gemacht.

So erliess die EU zunehmend schärfere CO2- Emissionsgrenzwerte pro Flotte einer Fahrzeugmarke. «Inzwischen ist die Regulierung so weit, dass ein Auto ab 2030 nur noch 1,8 Liter Diesel-Äquivalente pro hundert Kilometer verbrauchen darf», sagt Sinn, technisch seien Verbrenner-Fahrzeuge mit heutigem Komfort und Sicherheitsstandard so nicht realisierbar. Der Trick: Elektroautos sollen mit in die Flotte genommen werden, denen rechnerisch ein CO2-Ausstoss von null zugeordnet wird. Die Hersteller müssten die Hälfte bis zu zwei Drittel ihrer Flotte mit Elektroautos bestücken, damit sie diesen Wert im Durchschnitt erreichen. Aber eben, der Trick: «Da Strom überall in Europa auch noch mit Kohle hergestellt wird, sind Elektroautos vorläufg auch Kohle-Autos.»

«Die deutschen Autobauer werden sich schwertun, das Spiel gegen die EU zu gewinnen», sie müssten nun wegen der EU-Verordnung Elektroautos produzieren. «Aber da haben andere die Nase vorn, die Deutschen müssen sich hinten anstellen.»

Die EU werde ihre Regulierung nicht zurücknehmen, Kalifornien treibe in ähnlicher Richtung vorwärts, auch China. Sinn: «Elektroautos werden in China aus zwei Gründen favorisiert. Zum einen entlasten sie die Grossstädte vom Smog, zum andern haben die Chinesen gemerkt, dass sie beim Verbrennungsmotor nie mit den Deutschen gleichziehen können.» Diese komplexe Technik samt hochspezialisierter Zulieferindustrie habe man in Deutschland weltmeisterlich beherrscht.

Dass dem Dieselmotor der Garaus gemacht wird, fndet Sinn auch deshalb falsch, weil er emissionsbezogen den Elektroautos bislang jedenfalls in nichts nachstehe. Studien des österreichischen Instituts Joanneum Research und auch von VW selbst hätten gezeigt, dass der Diesel eher noch etwas weniger CO2 ausstosse als ein Elektroauto, wenn man mit dem deutschen Strom-Mix rechne und auch die extrem CO2-intensive Herstellung der Batterie einbeziehe. Das Institut habe gefunden, dass beim Vergleich mit dem Diesel die Elektroautos ihren CO2-Vorteil beim laufenden Betrieb gegenüber dem Nachteil des schweren CO2-Rucksacks in Form der Batterie erst ab einer Fahrleistung von 219 000 Kilometern ausspielen können. «Aber die Autos halten ja gar nicht so lange. In Deutschland werden sie im Durchschnitt nach 190 000 Kilometern verschrottet.»

«All das würde der Markt herausfnden»

Statt durch Klima-Planwirtschaft bestimmte Technologien, konkret Elektroautos, zu befehlen, hätte die Politik sich darauf beschränken sollen, den CO2-Emissionen einen Preis zu geben – am besten durch ein europäisches Emissionshandelssystem. Die Firmen hätten allein den besten Weg gefunden, CO2 einzusparen. «Ob das auf das Elektroauto hinausgelaufen wäre, wage ich zu bezweifeln», sagt Sinn, «da hätte auch der Wasserstoffmotor eine Chance gehabt, und vermutlich hätte die Einsparung bei der Heizenergie, die im Gebäudesektor eingesetzt wird, Vorrang erhalten.» Er erinnert an Berechnungen, wonach eine eingesparte Tonne CO2 im Automobilbau etwa zehn Mal so viel kostet wie beim Isolieren von Gebäuden. «All das würde der Markt herausfnden.»

Dann kommt das ganz harte Argument: «All dieses europäische Bemühen ist insofern wirkungslos, als die so eingesparten Treibstoffmengen auf den Weltmärkten einfach umgelenkt werden in andere Länder, die zu fallenden Preisen dann gerne mehr verbrauchen.» Die Ölscheichs wollten ihre Vorkommen auf jeden
Fall in den Markt bringen. Das grüne Säbelrasseln könne sogar die Angst vor Enteignung schüren und die Ölexporteure erst recht zum beschleunigten Ausverkauf treiben.

Nachzulesen auf www.weltwoche.ch.