Europas grüner Unilateralismus

Hans-Werner Sinn

Project Syndicate, 23. Juni 2021, The Japan Times, 25. Juli 2021, auch erschienen als "Europe's Green Unilateralism", The Asset, 27. Juli 2021.

Zu den wenigen Unterzeichnern des Pariser Klimaschutzabkommens, die sich 2015 zu bindenden Mengenrestriktionen verpflichtet haben, gehört die EU. Sie hatte versprochen, gegenüber dem Jahr 1990 den Verbrauch fossiler Brennstoffe bis 2030 um 40% (und nun gar 55%) zu reduzieren.

Am 14. Juli 2021 hat die EU-Kommission zudem eine Reduktion um 100% bis 2050 propagiert und ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt, mit dem sie schon kurzfristig den CO2-Ausstoß der Firmen und Haushalte massiv verringern will. Niemals zuvor hat es auf der Welt auch nur annähernd vergleichbare Anstrengungen für den Umweltschutz gegeben, und niemals außer in Kriegszeiten sind Marktwirtschaften derart rigide einer zentralplanerischen Steuerung unterworfen worden, wie es jetzt geplant ist. Zu dem Programm gehören drei verschiedene Emissionshandelssysteme für CO2. So soll das bestehende System, das bereits für die Energiewirtschaft, Teile der Grundstoffindustrie und der chemischen Industrie gilt, auf den Schiffsverkehr ausgedehnt werden.  Sodann sollen  zwei neue, separate  Handelssysteme für den Wohnungsbau und den Verkehr geschaffen werden. Die Zuteilung der Zertifikate soll nicht mehr frei sein. Vielmehr will die EU sie verkaufen, um mit den Erlösen auch Transfers an ärmere Bevölkerungsschichten finanzieren zu können. Die Menge der Zertifikate soll Jahr um Jahr drastisch reduziert werden.   Bereits letztes Jahr  wurde ein  System zur Klassifizierung der Unternehmen nach dem Grad Ihrer Grünheit (Taxonomieverordnung) eingeführt mit dem Ziel, die europäische Notenbank zu differenzierenden Kreditoperationen zu veranlassen,  die den grünen Firmen niedrigere Zinsen verschaffen. Hinzu kommt nun das Total-Verbot des direkten Einsatzes fossiler Brennstoffe für PKW-Motoren bis 2035. Der PKWs sollen dann mit elektrischer Energie fahren, die entweder in Batterien oder Wasserstofftanks zwischengespeichert wird. Ein Grenzausgleich, der die Importe von Grundstoffen der Industrie erfasst, soll das sogenannte Carbon Leakage verhindern, also die Verlagerung der CO2-Emission in andere Länder. Der CO2-Ausstoß des Flugverkehrs soll auf dem Niveau des Corona-Jahres 2020 eingefroren werden. Die Maßnahmen sind wirklich atemberaubend. Ob sie wirken werden ist mehr als unsicher. Sicher ist aber, dass sie den Lebensstandard der Europäer in massiver Weise beeinträchtigen werden. Sie werden die europäische Industrie in die Knie zwingen und ihrer Wettbewerbsfähigkeit berauben. Hinter den Maßnahmen steht vor allen der sozialdemokratische EU-Kommissar Frans Timmermans. Er ist dabei, Europa in ein protektionistisches, zentral aus Brüssel gelenktes Wirtschaftssystem zu verwandeln, aber er macht dabei viele Fehler.   So richtig es grundsätzlich ist, auf den Emissionshandel zu setzen:  Die separaten Handelssysteme für die verschiedenen Sektoren der Wirtschaft und die Steuerung des Kapitalmarktes über die Taxonomie-Verordnung verletzen das  Gesetz des einen Preises, das normative Hauptgesetz der Volkswirtschaftslehre, das unabdingbar für eine kostenminimale Vermeidungsstrategie ist.

Die Abschaffung der Benzin- und Dieselmotoren und die Umstellung der PKWs auf elektrische Energie wird entgegen seiner Hoffnung kaum einen Beitrag zur Verminderung des CO2-Ausstoßes der Welt leisten.   Das liegt zum einen daran,  dass  der Strom derzeit noch zu einem erheblichen Anteil aus Kohle gewonnen wird und dass Deutschland, das größte und am stärksten industrialisierte Land der EU,   seine Kernkraftwerke in Kürze abschalten will. Auf absehbare Zeit werden die neuen E-Autos, die als Heilsbringer gepriesen werden, mit Strom fahren, der zu erheblichen Anteilen aus Kohle gewonnen wird. Leider übersieht er auch, dass die in Europa nicht mehr verbrauchten handelbaren Brennstoffe Öl und Gas samt und sonders über die Weltmärkte in andere Länder verkauft werden, die sie zu fallenden Preisen gerne abnehmen.  Wegen des Carbon Leakage über die Brennstoffmärkte bringt die Einsparung des Öls beim Verkehr für sich genommen nichts für das Weltklima, auch wenn die EU damit ihr Versprechen beim Vertrag von Paris formal erfüllt. Um durch das Verbot der Verbrenner irgendwelche positiven Effekte für das Klima zu erreichen, müsste die EU die eingesparten Brennstoffe in wohlbehüteten Tanks auf ihrem Territorium irgendwo sicher aufbewahren. Dazu schweigt sie aber klugerweise, weil dann die Absurdität ihres unilateralen Denkansatzes offenkundig wäre. Aber es ist nun mal so, dass die Aktionen der EU nicht mit den anderen Ländern koordiniert sind, auch nicht durch das Pariser Abkommen. Man darf nicht vergessen, dass knapp 140 der 200 Unterschriften unter das Pariser Abkommen von Ländern stammen, die sich selbst nicht zu quantitativen Mengenbeschränkungen beim CO2-Ausstoß verpflichtet haben. Sie haben im Grunde nur den Umstand begrüßt, dass eine kleine Minderheit der Länder der Welt versprochen hat, ihnen nicht mehr so viele Brennstoffe vor der Nase wegzukaufen. Tatsächlich wird die Maßregelung des PKW-Verkehrs nicht nur wirkungslos für das Weltklima sein, sie könnte sogar kontraproduktiv sein, weil für den Betrieb der  E-Autos und den Ersatz der Atomkraftwerke vorläufig mehr zusätzlicher Strom gebraucht wird, als die grünen Stromquellen liefern können, während die Einsparungen beim Öl wegen des Leakage über die Brennstoffmärkte klimaneutral sind.  Es wird also gerade wegen den Übergangs zu den E-Autos für einige Jahre mehr  Strom aus heimischer Kohle gebraucht werden und somit mehr fossiler Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangen. Die EU-Kommission glaubt, das Carbon Leakage mit dem System des Grenzausgleichs verhindern oder eindämmen zu können. Ihre Hoffnung ist jedoch unbegründet, wenn nicht naiv, denn selbst wenn sie den CO2-Gehalt aller Importe besteuern könnte, hätte sie keine Möglichkeit, zu verhindern, dass die in der EU nicht mehr verbrauchten handelbaren Brennstoffe in andere Teilen der Welt geliefert und dort verbrannt werden. Die EU kapriziert sich sich auf den unerheblichen Teil des Carbon Leakage, der etwas mit dem Kohlenstoffgehalt der gehandelten Waren zu tun hat, und vergisst das direkte Leakage über den Verkauf der Brennstoffe selbst. Der Grenzausgleich bringt ähnlich wie der Verkauf der CO2-Zertifikate für die EU allerdings den Vorteil, dass sie endlich zu einer ergiebigen eigenen Einnahmequelle kommt. Ob das auch diejenigen als Vorteil empfinden werden, die die Abgaben werden zahlen müssen, kann bezweifelt werden. . Die EU wird Europa mit ihrer unilateralen Klimastrategie in eine Handelsfestung mit Handelskriegen verwandeln. Sie wird weltweit einem neuen Protektionismus Vorschub leisten und anderen Regionen der Welt die Möglichkeit geben, sich mit der billigen Energie, die die EU freigibt, im eigenen Wirtschaftsverbund zu einer prosperierenden, arbeitsteiligen Wirtschaft  zu entwickeln. Auf die Kontakte zu einem sich selbst kasteienden Europa wird man dort zunehmend weniger Wert legen. Und dem selbst ernannten Versuchskaninchen zu folgen werden sich andere Länder wohlweislich hüten, denn ohne China und Indien, versehen nur mit ein paar Lippenbekenntnissen der USA  lässt sich kein Klimaklub gründen, der eine Anziehungskraft auf andere ausüben kann.  

Nachzulesen auf: www.project-syndicate.org.