Hände weg von Eingriffen in die freie Preisbildung!

Staatlich fixierte Höchst- und Mindestpreise sind ein Irrweg. Sie schädigen den zentralen Lenkungsmechanismus der Marktwirtschaft.
Hans-Werner Sinn

WirtschaftsWoche, 28. Februar 2020, Nr. 10, S. 43.

Der Marktwirtschaft geht es allmählich an den Kragen. Der Neoliberalismus, also jene Variante des Liberalismus, die auf einen starken staatlichen Ordnungsrahmen setzt, wird verteufelt; eine schier unüberschaubare Fülle neuer Verordnungen und Regulierungsmaßnahmen legt sich bleiern über das Land. Ein Neodirigismus wird zur Staatsdoktrin, wie der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, moniert.

Genährt von berechtigten Sorgen um die Erderwärmung und getragen von einer fast schon religiösen politischen Ethik, hat sich in den Berliner Wolken, die hoch über den Köpfen der arbeitenden Bevölkerung schweben, eine neue Ideologie entwickelt, die das solide Fundament untergräbt, auf dem der Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland bislang gründete. Selbst viele Unternehmen und manche Politiker aus der Mitte der Gesellschaft wagen es nicht mehr, dagegen aufzubegehren.

Am gefährlichsten sind aus der Sicht der Volkswirtschaftslehre die sich mehrenden Rufe nach Eingriffen in die freie Preisbildung und nach Enteignung. Sie sollen den Systemwechsel zurück zu zentral-planerischen Modellen des Wirtschaftens vorbereiten, die man längst im Orkus der Geschichte wähnte.

Kevin Kühnert steht ja mit seiner Forderung nach einer Enteignung von Wohnungsbeständen nicht allein. Seine Partei hat den eloquenten jungen Mann zum stellvertretenden Vorsitzenden gekürt. Die neuen Chefs der SPD üben den Schulterschluss mit den Linken. Auch Robert Habeck, der Philosoph an der Spitze der Grünen, hat seine Sympathien bekundet.

Doch wer das Eigentum zur Disposition stellt, zerstört die Markwirtschaft – das System des freien Tausches, das nur funktioniert, wenn man Eigentümer dessen ist oder wird, was man tauscht. Sollte Deutschland den Schutz des Eigentums nicht mehr ernst nehmen, käme es zu einer rapiden Verringerung der Investitionsbereitschaft, zu einer Abschwächung des Wachstums und einer Verarmung der Massen. Der Exodus jener Kräfte, die den Wohlstand des Landes maßgeblich tragen, wäre programmiert.

Daraus folgt kein Plädoyer für soziale Kälte. Einer der Kernsätze der Volkswirtschaftslehre lautet, dass eine kluge und mit Augenmaß vorgenommene fiskalische Umverteilung von Reich zu Arm zur Korrektur der Verteilungsergebnisse des Markes erforderlich ist. Die fiskalische Umverteilung schüttet wesentlich weniger Sand in das Getriebe der Marktwirtschaft, als es Eingriffe in die Preisstruktur tun.

Durch Angebot und Nachfrage gebildete Preise für Güter und Dienstleistungen einschließlich der menschlichen Arbeitskraft sind der Lenkungsmechanismus der Marktwirtschaft. Dieser Mechanismus ist der Zentralverwaltung im Hinblick auf die Vermeidung von Knappheit und die Freiheit der Menschen haushoch überlegen. Sind bestimmte Waren und Leistungen knapp, sind die Preise hoch, und die Anbieter, seien es Firmen, Investoren oder Individuen, bemühen sich um Abhilfe. Das tun sie aus ihrem eigenen Interesse statt aus Angst vor Justiz, Polizei und staatlichen Kontrolleuren, die die Alternativen zum Preismechanismus sind.

Diese Erkenntnisse wurden bereits durch die Mindestlohngesetzgebung ignoriert. Dass die Jobverluste gering blieben und sich auf Minijobs beschränkten, hat zum einen damit zu tun, dass sich Deutschland in einer Hochkonjunktur befand, und zum anderen mit dem Umstand, dass der Mindestlohn vielfach nicht gezahlt wurde, weil man die Arbeitszeiten nicht erfassen konnte. Letzteres hat das DIW kürzlich festgestellt. Dass die Schäden durch den Mindestlohn bislang gering blieben, liegt auch an der Regierung Schröder, die den impliziten Mindestlohn des Sozialsystems durch die Hartz-IV-Reform senkte und so viele neue Stellen im Niedriglohnsektor überhaupt erst rentabel machte. Dieser Effekt war wahrscheinlich dominanter als der zum Teil nur deklaratorische Mindestlohn.

Die Mindestlohngesetzgebung war der Anfang. Danach kamen Forderungen nach Höchstmieten, die in Berlin bereits umgesetzt wurden und nun Klagen vor dem Verfassungsgericht provozieren. Höchstmieten kommen nicht nur einer Teilenteignung der Wohnungseigentümer gleich, vor allem unterminieren sie die Anreize, neue Wohnungen zu bauen. Sie schützen die Altmieter vor den Wohnungssuchenden inklusive der Berufseinsteiger und Zuzügler, die nun gar nicht mehr wissen, wie sie unterkommen sollen. Die Umwidmung von Mietwohnungen in teure Eigentumswohnungen ist eine sichere Folge des Mietendeckels.

Zuletzt hat sich der Neodirigismus der Landwirtschaft zugewandt. Katharina Dröge etwa, die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, hat jüngst Mindestpreise für Agrarprodukte gefordert. Eine solche Maßnahme führt jedoch zu einem Überangebot auf den Agrarmärkten und schädigt die Verbraucher, allen voran die Geringverdiener, die einen besonders hohen Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden müssen. Zudem fördern hohe Agrarpreise eine umweltschädliche Intensivierung der Landwirtschaft, weil es lohnend wird, den Boden mit noch mehr Maschinen und noch mehr Dünger zu traktieren. Doch hinter der moralischen Erhabenheit derer, die auf der Berliner Wolke schweben, verblassen solche Probleme.

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