"Staat muss die Bank, nicht die Aktionäre retten"

Boni-Debatte beim G-20-Gipfel war laut Ifo-Chef Sinn ein Nebenkriegsschauplatz: Aktionäre, nicht Manager gehörten an die Kandare
Interview mit Hans-Werner Sinn, derStandard.at, 27.09.2009

Die G-20 haben beschlossen, die Boni für Manager zu begrenzen. Sie haben zur Boni-Debatte gesagt: Alles nur Show. Aber ist es nicht ein Problem, wenn Banken mit Staatsgeld Millionen-Boni zahlen?

Natürlich. Aber ich dachte, es ginge um die Krisenbewältigung. Exzessive Boni sind eine ärgerliche Begleiterscheinung, ein Nebenkriegsschauplatz. Das Hauptproblem sind nicht die Asymmetrien in der Entlohnung der Manager, sondern Asymmetrien in der Entlohnung der Aktionäre. Die Aktionäre haften ja nicht mit ihrem Vermögen, sondern nur mit den Einlagen, und die sind bei den Banken viel zu klein. Die Gewinne gehören den Aktionären, und die Verluste den Steuerzahlern, mit deren Geld die Bank gerettet wird. Weil die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden, wünschen die Aktionäre riskante Geschäftsmodelle, denn nur so kommen sie zu hohen Renditen. Die Manager sind nur Erfüllungsgehilfen.

Was soll geschehen?

Das kann man nur verändern, indem die Banken gezwungen werden, mit mehr Eigenkapital zu arbeiten, sodass die Aktionäre im Verlustfall auch mehr Eigenkapital verlieren.

Beim G-20-Gipfel ging es auch um Handelsungleichheiten. Deutschland und China exportieren zu viel, sagt Washington. Ist es realistisch, zu erwarten, dass diese beiden Länder ihre Exporte drosseln?

Die USA haben nicht ganz unrecht. China sollte seine Währung abwerten, und Deutschland könnte seine Standortbedingungen verbessern, sodass es seine Investitionsgüter zu Hause hinstellen kann, anstatt sie der Welt per Kredit zu verkaufen. Dass Deutschland zuhause netto praktisch nicht mehr investiert, ist schon ein Problem - für die Welt und auch für Deutschland. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Problemlösung.

Wie sähe richtige Problemlösung aus?

Entscheidend wäre es, in Amerika die regressfreien Kredite an Hausbesitzer zu verbieten. (Bei regressfreien Krediten kann die Bank nur auf das Haus, aber nicht auf das sonstige Vermögen des Schuldners zugreifen, Anm.) Die regressfreien Kredite haben beim Kauf eine zu große Risikovorliebe erzeugt und den Boom beflügelt. Außerdem müssen wir verhindern, dass Bankaktionäre von vornherein damit rechnen, dass der Staat die Verluste übernimmt. Der Staat darf in der Krise keine Geschenke verteilen, sondern muss das fehlende Eigenkapital ersetzen, indem er selber Teilhaber der Bank wird. Er muss also die Bank retten, aber nicht die Aktionäre. Wenn der Staat das ankündigt, werden die Aktionäre vorsichtiger.

Trauen Sie sich eine Einschätzung zu: Ist die derzeitige Erholung an den Märkten nachhaltig?

Nein. Aber wir müssen aufpassen, dass es keine Double-Dip-Rezession wird. Das heißt, dass es zwar jetzt einen kleinen Aufschwung gibt, der aber nach ein, zwei Jahren in den nächsten Abschwung führt. Damit das nicht passiert, müssen die Konjunkturprogramme weiterlaufen. Wir dürfen nicht denken, dass alles überwunden ist. Das wäre wie bei einer Krankheit, die mit Penicillin behandelt wird: Wenn die Symptome verschwinden, darf man das Medikament nicht sofort absetzen. Man muss das Penicillin länger nehmen. So ähnlich ist es mit der keynesianischen Politik des Schuldenmachens zur Stärkung des Einkommenskreislaufes. Damit dürfen wir noch nicht aufhören, so sehr die Schuldenlast schmerzt.

Aber die US-Regierung hat bereits einen langsamen Rückzug des Staates angekündigt.

In Amerika geht es schneller. Die Krise in den USA war der Auslöser der Probleme, die Schockwellen haben uns verspätet erreicht. Also wird auch in Europa die Erholung verzögert stattfinden. Wenn ich den Arbeitsmarkt als Maßstab nehme, war es beim letzten Ab- und Aufschwung so, dass der deutsche Arbeitsmarkt dem amerikanischen mit etwa 21 Monaten Verzögerung folgte. Ich weiß nicht, ob das genau so bleibt, aber es wird eine Verzögerung geben. Wir werden lange warten müssen, um da zu sein, wo die Amerikaner heute sind. Wahrscheinlich eineinhalb Jahre. Erst dann können wir an ein Ausstiegszenario aus den Konjunkturprogrammen denken.

Wenn Sie sagen, in eineinhalb Jahren sind wir dort, wo die USA heute sind, sind das für den Arbeitsmarkt sehr düstere Aussichten.

Nun ja: Dass die Arbeitslosigkeit steigt, das ist ja Konsens unter den Prognostikern. Die Frage ist nur, wie stark sie steigt.

Das Interview führte András Szigetvari (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.9.2009)