Auflagen schrecken Privatbanken ab

Recklinghäuser Zeitung, 24.10.2009, S. 19

Interview mit Professor Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, zu Finanzkrise, Konjuntur und Bildung

Berlin. Die Börsen sind Weltweit auf Talfahrt, die Konjunktur schwächelt, Die Finanzkrise hält Konsumenten, Banker und Wirtschaftsbosse in Atem – Schlagzeilen, die seit gut zwei Wochen den Medienalltag bestimmen. Unser Berliner Büro sprach darüber und über das Thema „Bildungsgipfel“ mit Prof. Hans-Werner Sinn, den Präsidenten des Ifo-Instituts.

Bayerische Landesbank, WestLB, HSH-Nordbank, für den staatlichen Schutzschirm interessieren sich nur Staatsbanken −warum?

Sinn: Die Staatsbanken hängen mehr drin als die anderen. Sie suchten krampfhaft nach Gewinnmöglichkeiten, nachdem ihr ursprüngliches Geschäftsmodell mit den Vorteilen der Gewährträgerhaftung des Staates von der Europäischen Union aus Wettbewerbsgründen beendet wurde. Sie glaubten im Ankauf hoch risikobehafteter und hoch verzinslicher Papiere eine Strategie gefunden zu haben. Das ist schief gegangen.

Wäre die Abschaffung der Landesbanken vernünftig?

Sinn: Sie sollten nach der Lösung der jetzigen Probleme mit den Sparkassen fusioniert werden. Allein haben sie keine Basis mehr.

Werden Privatbanken am Schutzschirm nicht teilnehmen?

Sinn: Eine Bank, die nur geschwächt, aber nicht k.o. ist, wird das Geld nicht in Anspruch nehmen. Es ist mit Auflagen, vor allem für Managergehälter verbunden. Diejenigen, die über die Inanspruchnahme entscheiden, wären diese Manager. Man geht also von der Theorie aus, dass es hier eine Kaste gibt, die freiwillig um Bestrafung beim Staat nachsucht. Das wird nicht funktionieren. Nur der, dem das Wasser wirklich bis zum Hals steht, wird es in Anspruch nehmen. Das aber ist ein Problem, denn ohne neues Eigenkapital werden die Ausleihungen an die Firmen zurück gehen. Entweder müssen die Strafen fallen, oder der Staat muss den Banken sein Geld aufzwingen. Was jetzt beschlossen wurde, beschwört die Gefahr einer Kreditklemme herauf.

Die Konjunktur ist auf Talfahrt, sind also Konjunkturprogramme sinnvoll?

Sinn: Nur dann, wenn es wirklich schlimm um die Konjunktur steht, wenn der Auslastungsgrad der Produktion im Keller ist. Heute ist der Auslastungsgrad auf einem extrem hohen Niveau und die Arbeitslosigkeit auf einem Tiefstand. Ein zusätzlicher Nachfrageschub ist jetzt nicht nötig, er könnte in einigen Bereichen zu Überhitzungen führen. Also: Warten, bis die Situation kritisch ist. Denn Nachfrageprogramme sind immer nur kurze Strohfeuer. Warum ein Strohfeuer entzünden, wenn das eigentliche Konjunkturfeuer noch brennt?

Also wären schnelle Steuersenkungen wie sie die CSU fordert, jetzt falsch?

Sinn: Aus konjunkturellen Gründen wären sie nicht notwendig, aus Gerechtigkeitsgründen schon. Wenn die Wirtschaft wächst, wachsen die Einkommensteuereinnahmen des Staates überproportional. Diese ungerechte „kalte Progression“ muss regelmäßig korrigiert werden, damit der Staat nicht einen immer größeren Anteil des Volkseinkommens erhält, der Bürger netto immer weniger.

Debattiert wird über gezielte Programme, um Automobilindustrie, Bauindustrie oder Handwerk zu stützen. Der richtige Ansatz?

Sinn: Nein. Das ist grundsätzlich falsch, weil der Staat dadurch nicht nur konjunkturell eingreift, sondern auch lenkend. Die einzelnen Ressorts haben immer unerfüllte Wünsche, und nun liefert die Konjunktur den Vorwand, sie zu erfüllen. Leider geht das nur zu Lasten künftiger Generationen. Politiker neigen immer dazu, Geschenke zu verteilen und den Generationen, die jetzt noch nicht wählen können oder nicht einmal geboren sind, die Schulden aufzubürden.

Wenn ein Konjunkturprogramm sein muss, wie sollte es aussehen?

Sinn: Steuersenkungen, Transfererhöhungen und Geld für die Infrastruktur. Die Steuerprogression könnte gemildert werden, und bei Hartz IV könnte man die Hinzuverdienstgrenzen erhöhen, also das Lohnzuschusselement stärken. Die Mittel werden viel klüger verwendet, wenn die Bürger statt der Politiker entscheiden. Die Infrastruktur wurde sehr lange vernachlässigt. Investiert man in sie, hilft das dem Land auch in der Breite.

Das Gegenargument gegen Steuersenkungen lautet, dass aus Angst gespart statt konsumiert würde und das Geld gar nicht der Konjunktur zugute kommt.

Sinn: Ja, ein gewisser Prozentsatz landet auf dem Sparbuch. Aber die bessere Verwendung der Mittel insgesamt spricht dennoch für diese Herangehensweise.

Wie schätzen Sie die Aussichten für den Arbeitsmarkt ein?

Sinn: Die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit geht vielleicht noch bis zum Winter zurück. Im nächsten Jahr wird sie dann aber wieder ansteigen. Im Durchschnitt wird die Arbeitslosigkeit 2009 genauso hoch sein wie 2008 − allerdings bei steigendem Trend. Wir kommen im Wahljahr in die Flaute.

Zum Bildungsgipfel: Wird mehr Geld die Bildung verbessern?

Sinn: Die Bildungsausgaben sind gemessen am Bruttoinlandsprodukt niedrig. Das liegt aber vor allem daran, dass wir so wenige Kinder haben, die für die Bildung zur Verfügung stehen. Erst in zweiter Linie liegt es daran, dass wir pro Schüler zu wenig ausgeben. Der Schwerpunkt muss auf strukturellen Fragen liegen.

Was ist angesichts der aktuellen Situation vorrangig zu tun?

Sinn: Kinder aus Migrantenfamilien oder unteren Schichten müssen besser integriert werden. Der Kindergarten muss kostenlos sein. Wir brauchen die Ganztagsschule. Das dreigliedrige Schulsystem hat sich überlebt. Es gliedert die Bevölkerung in drei Schichten und führt dazu, dass die existierenden Schichten von Generation zu Generation weitergegeben werden. Für die Forderung die Hauptschule abzuschaffen habe ich eine gewisse Sympatie. Ich finde es indes noch wichtiger, wenn man das Trennalter zwischen den Schulzweigen von zehn auf 14 Jahre hoch setzt. Dann kann man besser die Veranlagungen erkennen. Wenn man das noch mit der Ganztagsschule kombiniert wird, würden Wunder im deutschen Bildungswesen geschehen.