Euro tut sich einstweilen schwer

Börse Online, 19./20.04.2001, S. 18

BÖRSE ONLINE: Herr Professor Sinn, in neun Monaten haben die Bürger nicht mehr die Mark im Portemonnaie, sondern den Euro. Werden sie dann ihre Skepsis gegenüber dem neuen Geld verlieren?

HANS-WERNER SINN: Davon bin ich überzeugt. Noch ist der Euro virtuelles Geld; niemand hält es bislang in der Hand. Es soll noch Leute geben, die glauben, dass sich ihr Vermögen halbiert. Doch sobald wir mit dem Euro bezahlen, werden wir uns schnell an ihn gewöhnen. Denken Sie daran, wie rasch man sich auf eine Urlaubswährung einstellt.

Werden Bürger zunächst mehr Bargeld halten, um sich an die neue Währung zu gewöhnen?

Dafür gibt es keinen Grund. Viel spannender ist, wie sich die Bargeldnachfrage entwickelt, die für Schwarzgeldgeschäfte in Euro benötigt wird. Deren Höhe ist völlig ungewiss. Daneben wird es entscheidend sein, wie sich die Osteuropäer verhalten. Nach Schätzungen der Bundesbank zirkulierte dort vor der Währungsunion ein Viertel bis ein Drittel der deutschen Geldmenge. An die Stelle der Mark muss dort der Euro treten.

Sie glauben, dass der Euro deshalb schwach ist, weil Mark-Schwarzgeld in Dollar getauscht wird und die Mark ihre Funktion als Transaktionswährung in Osteuropa verliert?

Ja. Die traditionellen Argumente wie die schrumpfende Zinsdifferenz oder der Wachstumsvorsprung der Alten Welt im Vergleich zu den USA helfen dem Euro nicht auf die Beine. Die Größenordnung - in Osteuropa waren rund zehn Prozent der europäischen Geldbasis im Umlauf - ist gewaltig. Und der Anteil der Schattenwirtschaft in Europa liegt bei rund 15 Prozent des offiziellen Sozialprodukts. Es ist anzunehmen, dass bereits im großen Umfang getauscht wurde, denn die zirkulierende DM-Bargeldmenge ist relativ zum Sozialprodukt zuletzt stark zurückgegangen. Weil der Euro noch nicht da ist, wird das DM-Bargeld in Dollarnoten gewechselt.

Wie wird sich der Euro in den kommenden Monaten entwickeln?

Bis zu seiner physischen Einführung wird er sich schwer tun. Aber ich bin optimistisch, dass er längerfristig in die Rolle der DM hineinwachsen kann.

Worauf gründet sich Ihr Optimismus? Die Sorgen um den Euro werden zusätzlich von Konjunkturängsten geschürt. Müssen die Zinsen runter?

Deutschland würde eine Zinssenkung sicher vertragen. Doch was für Deutschland gut sein mag, gilt nicht für alle Euroländer. Für die meisten anderen sind die Zinsen sehr niedrig; das Investitionsklima ist daher gut. Wir dürfen nicht vergessen, dass Staaten wie Irland oder Spanien vor einigen Jahren noch sehr hohe Risikoprämien in den Zinsen zu verkraften hatten. Das bedeutet, dass Kapital zu Lasten Deutschlands in diese Länder strömt. Denn Kapital fließt bekanntlich dorthin, wo es die höchsten Renditen erzielt. Das steigert das dortige Wachstum und schmälert gleichzeitig die Wirtschaftsdynamik hier zu Lande.

Deutsche Arbeitnehmer dürfte es herzlich wenig interessieren, dass der Euro ihren europäischen Kollegen Vorteile, ihnen aber Nachteile bringt?

Gewiss. In der Summe überwiegen aber die Vorteile auch für unser Land. Deutsche Kapitalanleger können höhere Renditen erwirtschaften, als es sonst der Fall wäre. Außerdem profitiert auch Deutschland insofern vom Euro, als künftig mehr internationales Kapital in den gemeinsamen Währungsraum fließen wird. Dies stärkt das Wachsturn in der Alten Weit insgesamt.

Aber Deutschland hat den größten Anteil am Sozialprodukt im Euroraum. Ist es ein Fehler, dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) derzeit hauptsächlich an den kleineren Ländern in der Peripherie orientiert?

Dem stimme ich im Prinzip zu. Die kleinen Länder haben zu viel Gewicht, und im Gegensatz zur Ideologie der EZB vertreten die Repräsentanten dieser Länder keineswegs auch die deutschen Interessen. Es war ein Konstruktionsfehler der EZB, dass jedes Land die gleiche Stimme im Zentralbankrat besitzt. Immerhin war Deutschland damals in einer Position der Stärke. Die anderen wollten die DM abschaffen, nicht wir. Klüger wäre es gewesen, wenn die Kapitalanteile, die sich nach der Größe der Mitgliedsländer richten, auch die Stimmrechtsanteile bestimmt hätten.

Die deutschen Ängste, der Euro treibe die Inflation in die Höhe, haben sich bisher nicht bewahrheitet. Müssen wir uns auf versteckte Preiserhöhungen bei der Einführung des Eurobargelds gefasst machen?

Nein. Für Deutschland sehe Ich langfristig ohnehin eher das Risiko, dass die Inflation zu niedrig ist und nicht zu hoch.

Wie bitte?

Im Gegensatz zu den kleineren Euroteilnehmern befinden wir uns nicht in einem ökonomischen Aufholprozess. Ein Land, dessen Wirtschaft noch nicht so entwickelt ist, hat niedrigere Löhne und somit auch niedrigere Preise. In der Phase, in der dieser Rückstand aufgeholt wird, steigen Löhne und Preise schneller als in dem weiter entwickelten Land. Wenn in Euroland im Schnitt ein Inflationsziel von zwei Prozent angepeilt wird, ist es nur logisch, dass die Iren darüber liegen, wir aber darunter. Das ist nicht ungesund.

Aber derzeit liegt die Inflationsrate in Deutschland bei 2,5 Prozent...

Dieser Wert ist okay, aber er bezieht sich auf die Hochphase des Booms. Meine Sorge ist, dass die Inflationsrate im jetzigen konjunkturellen Abschwung zu stark sinken könnte. Zu bedenken ist auch, dass die jetzige Inflationsrate zum Teil auf den Sondereinfluss steigender Ölpreise zurückzuführen ist und sie durch einen Messfehler höher erscheint, als sie wirklich ist. Wir erfassen im Gegensatz zu den USA den Qualitätsanstieg der Waren nur unzureichend und überschätzen deshalb unsere Inflationsrate um mindestens einen halben Prozentpunkt. Dass eine Wirtschaft, in der die Preise kaum steigen, Probleme haben kann, zeigt Japan. Das Land steckt in einer Liquiditätsfalle.

Wollen Sie damit sagen, dass wir bald japanische Verhältnisse haben?

Nein, das wäre übertrieben. Aber wir müssen aufpassen, nicht ebenfalls eines Tages in die Liquiditätsfalle zu rutschen. Ist man erst mal drin, kommt man nicht so leicht wieder heraus. In Japan sind die kurzfristigen Zinsen praktisch bei null, das Land steht am Rand einer Deflation. In dieser Situation braucht man niedrige Realzinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dazu ist Inflation erforderlich, doch die lässt sich durch eine expansive Geldpolitik nicht mehr herstellen. Wir Deutschen schauen immer auf die Inflationsgefahr und übersehen, dass Deflation viel gefährlicher ist.

Zur Person: Hans-Werner Sinn
Werdegang: Der 53-jährige Volkswirt ist seit 1984 Professor an der Uni München. Hinzu kommen mehrere Forschungsaufenthalte in verschiedenen Ländern.
Unternehmen: Sinn ist außerdem Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und Geschäftsführer der CESifo GmbH.
Rennomee: Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Ökonom genießt international einen erstklassigen Ruf.

Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Börse Online.