Die Angst der Deutschen vor dem Euro

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Abendzeitung, 15.10.2001, S. 37

Der Euro kann sogar dem Dollar den Rang ablaufen

Hans-Werner Sinn ist Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Er sagt, dass der Euro auch Nachteile hat, alles in allem überwiegen für ihn aber die Vorteile. Seine drei Argumente gegen den Euro:

Verlorenes Geld. Die Bundesbank verleiht Geld an Banken und erhält Zinsen dafür. Solange es die D-Mark gab, flossen ihr die gesamten Zinseinnahmen zu. Mit dem Euro werden die Einnahmen aller Länder in einem Topf gesammelt, dann verteilt. Die Zuflüsse richten sich nach dem Umlauf der Geldmenge, die Rückflüsse in die Länder aber nach der Größe des Landes. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass sich ein Drittel der deutschen Geldmenge in Osteuropa und der Türkei befindet. Faktisch hat die Bundesbank so Wertpapiere für 60 Milliarden Mark an andere Länder verschenkt. Das war unnötig.

Ungerechtes Gewicht. Die Stimmen im EZB-Zentralbankrat, der über Zinsen entscheidet, sind ungerecht verteilt. Jedes Land hat eine Stimme, ungeachtet seiner Größe. Deutschland wird von Irland aufgewogen, das weniger als ein Zwanzigstel der deutschen Bevölkerung hat. Das hätte man anders regeln können.

Verlorener Vorteil. Weil die D-Mark stabil war, waren die Zinsen um bis zu 6 Prozentpunkte niedriger als in anderen europäischen Ländern. Deutsche Firmen konnten so viel günstiger Kredite aufnehmen. Dieser Wettbewerbsvorteil ist verschwunden, da sich mit der gemeinsamen Währung die Zinsen angenähert haben.

Das sind Sinns sieben Argumente für den Euro:

Niedrigere Preise. Firmen haben kein Währungsrisiko mehr. Ein deutscher Autohersteller verkauft in Italien: Seine Preisliste muss ein Jahr lang gültig sein. Solange D-Mark und Lira nicht fest aneinander gebunden waren, musste er die mögliche Veränderung der Währungskurse in der Preisliste berücksichtigen. Denn wenn die Lira gegenüber der D-Mark zum Beispiel aufwertete, erhielt die Firma weniger D-Mark dafür. Auf die Preise wurde also immer eine Spanne für eine Wechselkursveränderung aufgeschlagen. Diese Spanne ist mit dem Euro nicht mehr nötig. Dadurch fallen für Kunden die Preise.

Mehr Wettbewerb. Da es kein Währungsrisiko mehr gibt, werden Langfrist- Investitionen für Firmen und Anleger in Europa leichter. Das fördert Wettbewerb und bringt Vorteile für deutsche Anleger.

Neue Dynamik. Die Verbesserung der Kapital- und Gütermärkte, die zunehmende Integration werden auf mittlere Sicht eine neue Dynamik entfesseln, die Europa zu ungeahnter Wirtschaftsgröße aufschwingen lässt. Mit dem wahrscheinlichen Beitritt Englands und der Osterweiterung wird es langfristig noch weiter wachsen. Das bedeutet ein hohes Maß an wirtschaftlicher Potenz, die den Euro zu einer attraktiven Transaktionswährung machen wird. Er kann in seiner Bedeutung eines Tages sogar dem Dollar den Rang ablaufen. Die hohe Nachfrage nach dem Euro wird dazu führen, dass der Kurs nach oben geht. Legt man die von der OECD gemessene Kaufkraft von Dollar und Euro zu Grunde, könnte der Kurs langfristig bei etwa einem Dollar liegen.

Schnellere Annäherung. Zur Einigung Europas ist nicht erst eine politische Vereinigung mit gemeinsamen Gesetzen in allen Bereichen nötig. Umgekehrt ist es richtig: Eine gemeinsame Währung schafft die Bedingungen, die Euro-Gegner als Voraussetzung für ihre Einführung nennen: Preise, Wirtschaftskraft und Lebensstandard werden sich schneller annähern, als es sonst geschehen wäre. Eine ähnlich hohe, geschweige denn gleiche Wirtschaftskraft der einzelnen Euro-Mitgliedsländer ist keine Bedingung für die gemeinsame Währung. In Bayern sind die Wirtschaftsbedingungen besser als in anderen Bundesländern. Es ist aber noch niemand auf die Idee gekommen, eine bayerische Währung zu fordern.

Weniger Unsicherheit. Es stimmt, dass der Euro in den fast drei Jahren, die es ihn jetzt auf dem Papier gibt, hätte besser abschneiden können. Die Schwäche liegt vor allem daran, dass die Halter von Schwarzgeld in andere Währungen drängen und dass es in Osteuropa und der Türkei hohe D-Mark-Geldbestände gibt, von denen die Besitzer sich trennen wollen. Die Ausländer haben gehört, dass die D-Mark abgeschafft wird, und niemand will eine solche Währung behalten. Diese Unsicherheit wird aber verschwinden, sobald es vom Euro Münzen und Scheine gibt.

Gemeinsamer Nutzen. Der Euro nützt allen Europäern, auch den Deutschen. Aber er nützt anderen mehr als uns, weil wir schon eine stabile Währung hatten, die anderen nicht.