Die Reform treibt Deutschland in die falsche Richtung

News, 04.2001, S. 12

Die News im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, München

Herr Professor Sinn, was ist Ihre Meinung zur geplanten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes?

Die Reform treibt Deutschland in die falsche Richtung. Sie kostet die Unternehmen eine Menge Geld, weil die ohnehin schon sehr hohe Zahl an Betriebsräten noch weiter erhöht wird. Sie lähmt die Unternehmen, indem sie die Foren für das Austragen interner Konflikte vergrößert und noch mehr Kraft der Unternehmensleitungen für betriebsinterne Nullsummenspiele absorbiert. Rätedemokratische Verhältnisse sind es nicht, was ein Land für den immer intensiver werdenden weltweiten Wettbewerb braucht.

Ist das Gesetz nicht zum Schutz der Arbeitnehmer erforderlich?

Eine kapitalistische Wirtschaft braucht Regeln zum Schutz der Arbeitnehmer, und sie braucht auch Gewerkschaften. Das Problem der Mitbestimmung ist jedoch, dass sie allein auf den Schutz der bereits im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer abstellt und allzu häufig auf eine Diskriminierung von Outsidern hinausläuft, denen der Zugang zum Betrieb unnötig erschwert wird. Die Insider formieren sich zu einem Kartell gegen die Outsider, was sich u. a. daran zeigt, dass sich Betriebsräte grundsätzlich gegen eine Restrukturierung von Betrieben wehren, die mit Entlassungen und Neueinstellungen einhergeht, egal wie groß die Zahl der Neueinstellungen relativ zu den Entlassungen ist. Schon durch das Gesetz sind die Betriebsräte zur Diskriminierung der Outsider verpflichtet, eine volkswirtschaftlich absurde Situation.

Welche Auswirkungen hat die "Verschärfung" der Mitbestimmung auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft?

Keine guten. Man sollte es den Unternehmensleitungen überlassen, das richtige Maß an Mitbestimmung im Wettbewerb auszuloten. Wenn der Betriebsfrieden und die Zufriedenheit mit der Arbeit durch den Betriebsrat um mehr ansteigt, als es der Fall wäre, würde man die Gehälter der Betriebsräte unter der Belegschaft verteilen, dann ist die Einrichtung eines Betriebsrates volkswirtschaftlich sinnvoll, und dann wird er auch von der gewinnmaximierenden Unternehmensleitung aus eigenem Antrieb eingerichtet. Die Wettbewerbsfähigkeit wird dann nicht beeinträchtigt, sondern gestärkt. Einer staatlichen Anordnung bedarf es nicht. Wenn die Anordnung indes mehr Betriebsratstätigkeit hervorbringt, als es der private Wettbewerb täte, und das ist ja in Deutschland ganz offenkundig der Fall, dann schießt sie über das Optimum hinaus und verringert die Wettbewerbsfähigkeit.

Wie beurteilen Sie den offensichtlichen Einfluss der Gewerkschaften auf die Politik bei der geplanten Reform?

Mir scheint, der Deal des Kanzlers mit den Gewerkschaften war, dass Lohnverzicht gegen mehr Mitbestimmung gehandelt wurde. Der Deal nützt den partikularen Interessen der Gewerkschaftsvertreter, aber nicht notwendigerweise den Arbeitnehmern. Nachdem das Interesse der Arbeitnehmer an den Gewerkschaften mehr und mehr schwindet, versuchen die Gewerkschaften, ihre Macht mit Hilfe des Staates zu sichern. Die verstärkte Freistellung von Betriebsratsmitgliedern erlaubt es den Gewerkschaften, eigene Lohnkosten an die Betriebe abzuwälzen.

Welche Rolle werden Gewerkschaften in den nächsten Jahren spielen? Wie werden sich die Strukturen ändern (müssen)?

Gewerkschaften haben eine nützliche Funktion bei der kollektiven Aushandlung von Tarifverträgen. Sie sind nicht ersetzbar, weil sie das notwendige Gegengewicht zu den gut organisierten Arbeitgebern sind. Sie müssen freilich in Zukunft flexibler werden, was Öffnungsklauseln für schwächere Betriebe betrifft. Wenn ein Betrieb in Schwierigkeiten gerät, muss es der Belegschaft erlaubt werden, durch mehrheitliche Entscheidung niedrigere Löhne zu vereinbaren, als sie zuvor von den Gewerkschaften ausgehandelt wurden. Hier müssen sich die Gewerkschaften zurücknehmen. Der Flächentarifvertrag sollte zu einer Lohnleitlinie mutieren, die die Belegschaft eines Betriebes im Falle einer mehrheitlichen Entscheidung auch unterschreiten kann, wenn sie es will.

Das Gespräch führten Dr. Theo Breitsohl und Ursula Egger.