Interview mit Hans-Werner Sinn

Interview mit Hans-Werner Sinn, Tagesspiegel, 2/2002, S. 3

1.) Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?

Prof. Sinn: Die staatliche Arbeitsvermittlung scheint nicht gut zu funktionieren. Deshalb sollte man die Vermittlung privatisieren. Private Arbeitsvermittler würden gewinnorientiert und erfolgreicher arbeiten als eine Behörde. Die Arbeitsämter sollten nur noch die Zahlung des Arbeitslosengeldes regeln.

2.) Sollten die Transfers für Arbeitslose gekürzt werden?

Beim Arbeitslosengeld besteht kein Reformbedarf. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe indes müssen zusammengeführt werden. Beide sind zu hoch und verantwortlich für die Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereich. Denn da sie nur gewährt werden, wenn man nicht arbeitet, wirken sie wie Mindestlöhne. Für Menschen, deren Produktivität unter diesen Mindestlöhnen liegt, gibt es keine Jobs, denn die Unternehmer würden ja Verluste machen, wenn sie diese Löhne zahlen. Wir brauchen ein neues Sozialhilfe-System, bei dem der Staat Niedriglöhne aufstockt, statt Geld für das Nichtstun zu zahlen. Dann verschwinden die Mindestlöhne, und Jobs werden geschaffen.

3.) Wie schafft man es, die Langzeit-Arbeitslosigkeit zu senken?

Die niedrigsten Löhne hier zu Lande liegen bei 70 Prozent des Durchschnittsentgelts. Das ist zu viel. Die Löhne für Langzeit-Arbeitslose müssen runter. Die Maßnahmen, die Langzeit-Arbeitslose integrieren sollen, brachten per saldo wenig, denn sie haben auf der anderen Seite Menschen aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt. Mehr als ein Drehtür-Effekt kam nicht zustande. Die neue Sozialhilfe würde auch für die Langzeit-Arbeitslosen Jobs schaffen, ohne zugleich Einkommenseinbußen herbeizuführen.

4.) Wie muss das Tarifsystem in Deutschland weiterentwickelt werden?

Wir brauchen mehr Öffnungsklauseln für schwächere Betriebe. Die Tarifverträge sollten nur noch Lohnleitlinien vorgeben. Sie müssen es Unternehmen ermöglichen, weniger als den Tariflohn zu zahlen, wenn die Belegschaft dafür stimmt.

5.) Wie löst man das Qualifizierungsproblem der deutschen Arbeitnehmer?

Qualifizierung ist immer gut, aber das ist nicht in erster Linie ein deutsches Problem. Unser Duales Ausbildungssystem ist international Spitze, nur im akademischen Bereich hapert es, wie wir seit der Pisa-Studie wissen. Unsere Problem am Arbeitsmarkt rühren nicht von einer mangelhaften Qualifakion der deutschen Arbeitnehmer her.

Das Interview führte Carsten Brönstrup